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Die Inselvogtin

Die Inselvogtin

Titel: Die Inselvogtin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lüpkes
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in und um Aurich, Berum und Hinte gegangen. In Esens hatte sie in jede Kutsche geschielt, aber keiner der Wagenlenker hatte dem Mann geähnelt, den sie aus der Zeit im Waisenhaus kannte. Auch der Straßenkehrer schien wie vom Erdboden verschluckt zu sein.
    Maikea war mittlerweile vollkommen verzweifelt. Wie sollte sie jemanden finden, dessen Naturell es entsprach, jede Spur zu verwischen, kaum dass er sie gelegt hatte? Ein Mann ohne Namen, ohne Vergangenheit, ohne Zukunft – und mit dem fast überirdischen Ruf, ein unbezwingbarer Rebell zu sein.
    Wenn nicht bald etwas geschah, würde ihr keine andere Möglichkeit bleiben, als gegen ihren Willen und gegen ihre Überzeugung den Weg nach Aurich einzuschlagen, um Weerts Einladung anzunehmen. Bei dem Gedanken an diese Möglichkeit erschauderte sie. Ein Leben über Papieren gebeugt, meilenweit entfernt vom Meer und von der Natur, entsprach zwar ganz und gar nicht ihren Vorstellungen. Aber noch weniger wünschte Maikea sich ein so sinnloses wie gefährliches Umherstreunen durch ostfriesische Dörfer.
    Ein fremder Glockenschlag erreichte ihr Ohr. Satt und gewaltig wurde er über das erstickende Land getragen. Maikea verließ den Deich und folgte dem Geläut.
    Der Tag war dunstig, der Horizont ungewöhnlich nah ans Auge gerückt, und als sie endlich den Turm erkannte, aus dem der Klang gekommen sein musste, waren die Glocken bereits eine ganze Weile verstummt. Türme wie diesen gab es viele, quadratisch in der Grundfläche, aus grobem Backstein, teils weiß getüncht und durchschnittlich hoch. Daran alleine hätte sie nicht erkannt, wo sie sich befand. Aber das Kirchenschiff daneben war einmalig. An der Stirnseite erhob sich ein Hochchor aus sandfarbenem Stein, den übergroße, spitz zulaufende Fenster rahmten und der bis fast in den Himmel zu reichen schien. Als Maikea noch näher herankam, hörte sie ein Singen und ein Dröhnen und ein Pfeifen. Töne, die ebenso selbstbewusst wirkten und harmonisch zusammenliefen, wie es das Bauwerk zum Lobpreis Gottes tat.
    Es muss Sonntag sein, dachte Maikea, obwohl ihr die Wochentage schon lange abhandengekommen waren. Im Grunde fühlte es sich an, als sei sie völlig aus der Welt geraten und inzwischen in einer ganz neuen Gegenwart angekommen, die mit ihrem früheren Leben nicht mehr viel gemein hatte. Nur die Sonntage waren noch auszumachen, und heute musste es ihr dritter auf dieser Reise sein. Dann war sie also schon fast einen Monat unterwegs.
    Maikea sah erneut an dem Bauwerk empor. Sie hatte bereits von dieser Kirche gehört. Sie musste in Norden angekommen sein, von wo aus die Schiffe nach Juist fuhren. Die wenigen Insulaner, die zum Festland gefahren waren, hatten stets von der Baukunst und der majestätischen Orgel der Ludgerikirche geschwärmt.
    Seit sie damals hier angelandet war, hatte sich Maikea ihrer Heimat nie näher gefühlt als in diesem Moment. Fast machte es sie schwindelig.
    Von der Kirche aus waren es nur noch ein paar Schritte bis zum Hafen. Dort schaukelten die Boote im schmierigen Wasser. Auch Eykes Schaluppe war dabei, sorgsam vertäut und unbeladen. Am Kiel hatten sich grünliche Meerespflanzen abgelagert.
    Maikea ließ sich auf der Hafenmauer nieder. Der Dunst verwischte den Blick in die Ferne, als habe jemand ein Tuch über das Ende der Hafenausfahrt ausgebreitet. Die Inseln konnte man von hier aus ohnehin nicht erkennen. Aber der Stein, auf dem sie saß, war warm, und die laue Meeresbrise kühlte die sommerlichen Temperaturen auf angenehme Weise ab.
    Sie schloss die Augen. Und zum ersten Mal, seitdem sie Josef Herz in Richtung Aurich verlassen hatte, konnte Maikea die Schwere ihrer Glieder ertragen. Sie legte sich hin, um sich ein wenig auszuruhen, und ließ ihren Gedanken freien Lauf.
    Sollte sie einfach hierbleiben, bis morgen früh die Schiffe hinausfuhren? Es würde sich bestimmt jemand finden, der sie nach Juist brachte.
    Maikea malte sich aus, wie die Insel vor ihr auftauchte, das Land beidseitig des Hammrichs, die Erhebung der Dünen. Bei gutem Wetter würde sie das Rot der Backstein-Siedlung erkennen können. Der weiße Sand würde sich jetzt im Juli warm und samtig anfühlen und zwischen ihren Zehen hindurchrieseln, wenn sie am Nordstrand spazieren ginge. Die Jungvögel würden die ersten Flugversuche unternehmen und die niedlichen Kaninchenkinder sich scheu zwischen den Gräsern verstecken, wenn sie durch die Dünen nach Hause liefe. Nach Hause?
    Was war wohl aus der kleinen Hütte geworden, in

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