Die Inselvogtin
rüttelte mächtig an den Fensterläden. Nichts, was einen Küstenbewohner wirklich aus der Fassung bringen könnte, aber dieses Heulen des Windes und dazu der prasselnde Regen auf den Fensterscheiben, da bekommt man die Urgewalten doch um die Ohren geknallt. Wir haben noch Witze gemacht, dass es sich vielleicht lohnen könnte, am nächsten Tag den Strand abzusuchen. Sicher geht bei dem ein oder anderen Schiff etwas über Bord. Aber dann hörten wir die Rufe von draußen. Schipp up Strand, riefen die Frauen. Eine von ihnen kam herein, ihr Haar war wirr und der Blick erschreckt. Sie sagte, am Köper Sand sei ein kleines Handelsschiff auf Grund gelaufen. Wir sind sofort raus und über den Inseldurchbruch bis zur Westspitze gerannt. Ein verdammt weiter und ungemütlicher Weg, besonders bei Sturm. Dann sahen wir das Schiff und hörten die Hilfeschreie. Immer dieser verfluchte Köper Sand, dachte ich. Da haben schon so viele Seeleute den Tod gefunden. Wir Einheimischen kennen ja die Gegend auch unter der Wasseroberfläche, aber Fremde stranden hier ohne Vorwarnung auf den Untiefen. In diesem Fall waren es Dänen, die in der Sandbank stecken geblieben waren. Weniger als eine halbe Meile vor dem Strand. Meine Jungs und ich haben gleich gesehen, dass sie so gut wie keine Chance hatten, von allein wieder freizukommen. Manche haben Glück im Unglück und erwischen nur die weiter nördlich liegende Stelle. Da kann es sein, dass eine große Welle das Schiff von hinten anschiebt und man irgendwann aus eigener Kraft wieder freikommt. Aber der Däne war mittenrein geschippert. Die Wellen sind ihm schon über die Planken gerollt, und die Mannschaft stand bis zu den Knien im Wasser. Die hatten eine Heidenangst, wir haben sie immer wieder schreien hören. Es war furchtbar. Als Seemann ahnt man, wie sich so ein nasses Grab anfühlt.
›Ich fahr da hin‹, hab ich gesagt. Und meine Jungs waren derselben Meinung, wir mussten einfach helfen. Also haben wir uns auf den Weg gemacht, eines der kleinen Boote zu rüsten. Zwar war es stürmisch und die Wellen mannshoch, aber wir sind ja allesamt stramme Seeleute und lassen uns von so etwas nicht beeindrucken. Die Schreie wurden immer verzweifelter. Wir haben uns ins Zeug gelegt und gemeinsam das Boot gegen die Brandung geschoben, als der Inselvogt auf seinem Gaul angeritten kam.«
Eyke machte eine kurze Pause. Alle Augen waren auf ihn gerichtet, wie er wild gestikulierend die Geschichte erzählte. Nun ließ er seine Hände in den Schoß fallen, atmete ein paarmal durch und schüttelte den Kopf.
»Der Inselvogt schaute nur unbeteiligt von seinem Pferd auf uns herab, die wir uns mit dem Rettungsboot abmühten, und sagte: ›Die Menschenleben könnt Ihr meinetwegen in Sicherheit bringen. Aber das Schiff bleibt, wo es ist, verstanden?‹
Wir haben ihn angestarrt, als wäre er der Teufel. ›Aber wenn wir sie von der Sandbank schleppen können? Noch ist Zeit genug, die Strömung der Flut ist günstig, wir könnten das ganze Schiff retten‹, hab ich gesagt.
›Das Schiff ist, sobald es auf Sand gelaufen ist, Eigentum des Fürsten.‹
Natürlich kennen wir alle dieses Gesetz. Was am Strand der Insel gefunden wird, gehört den Cirksena, abgesehen von dem Anteil, den die Insulaner behalten dürfen. Egal, ob es sich dabei um ein Fass Rum handelt oder um ein ganzes Schiff. Aber bei aller Gesetzestreue, die Nächstenliebe hat doch immer noch Vorrang, oder nicht? Und das Fürstenhaus soll doch angeblich noch tausendmal frommer sein als wir Seeleute, denke ich … Also sind wir trotzdem los. Rein in die Brandung. Unser Boot stand manchmal fast senkrecht, wenn eine besonders hohe Welle auf uns zu ist. Und das Meer war verdammt kalt. Irgendwann hatten wir die schlimmste Stelle passiert und mussten in dieser kleinen Schale rudern, bis uns die Arme fast ausgekugelt wären. ›Immer ran an die Riemen‹, hab ich gerufen.
Als wir dann endlich ankamen, völlig taub an Armen und Beinen, haben wir den größten Schrecken gekriegt. Wir hatten mit ein paar bärtigen Dänen gerechnet, so stämmige Blondschöpfe, muskelbepackt und entschlossen. Aber da stand eine Familie an der Reling. Drei Männer, einer davon schon ziemlich alt, zwei völlig verängstigte Frauen und ein Haufen Kinder, die geheult und sich an den Röcken ihrer Mütter festgeklammert haben. Es waren Auswanderer, die weder Fässer noch Stoffballen oder sonstige wertvolle Handelsgüter geladen hatten. Sie besaßen lediglich ein paar Möbel,
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