Die Inselvogtin
schwingen. Er musste genau schauen, wem er vertrauen konnte und wem nicht.
Außerdem gab es noch eine andere Ungewissheit, die den Weißen Knecht zögern ließ: Die Männer stammten von Juist.
Er kannte ihre Familiennamen. Bei zweien hatte er sogar noch eine nebulöse Erinnerung. Doch umgekehrt schienen die Insulaner nicht zu ahnen, dass es sich bei dem Rebellenführer, dem sie sich nun anschließen wollten, um einen von ihnen handelte. Trotzdem war der Weiße Knecht noch vorsichtiger als sonst. Es barg ein zu großes Risiko, wenn sie herausfanden, wer er wirklich war.
Also ließ er den Docht in der Laterne sehr kurz, was den Raum in ein Dämmerlicht tauchte. Und er nahm sich vor, die Neulinge auf Herz und Nieren zu prüfen.
»Ihr wisst, dass unser Kampf gefährlich ist. Warum also wollt Ihr Euch uns anschließen?«
»Es gibt für uns nur zwei Möglichkeiten: kämpfen oder sterben!« Der Wortführer der Insulaner hieß Eyke. Er war ein Juister, der ein eigenes Boot besessen und damit den Verkehr zur Insel gewährleistet hatte. Dem Weißen Knecht war über den Mann schon ein paarmal etwas zu Ohren gekommen.
»Ich habe gehört, Ihr hattet vor einigen Jahren Ärger wegen angeblich aufrührerischer Reden?«
Eyke nickte stolz.»Ich wurde von einem Jungen verpfiffen. Dabei liebten die Juister es, wenn ich von Euch und Euren Heldentaten berichtete. Aber er hatte seinen Vorteil gewittert und versucht, beim Fürsten Eindruck zu machen … «
»Kann es sein, dass dieser Junge heute Oberster Geheimrat ist?«, hakte der Weiße Knecht nach, obwohl er die Antwort längst ahnte.
»Ja, ich habe den jungen Weert Switterts damals auf meiner Schaluppe mitgenommen. Zuvor hatte ich auf Juist über Euren Kampf in der Pfefferstraße berichtet und dass Ihr unzählige Soldaten mit bloßen Händen … «
»Das ist nur ein Mythos «, unterbrach der Weiße Knecht streng.»Ich bin kein übermenschlicher Held. Und wer mich zu einem solchen erklären will, der hat in meiner Gruppe nichts zu suchen.«
Eyke schluckte.»Nun, ich habe vielleicht immer ein bisschen übertrieben «, gab er kleinlaut zu.
Das hast du immer schon getan, dachte der Weiße Knecht. Schon damals, in der Schule, hatte Eyke ihn einen Hexenbastard genannt und schlimme Lügen über ihn verbreitet. Und nun strich er ihm bewundernd um die Beine wie ein Kater, der sich nach Aufmerksamkeit sehnte. Warum Eyke ihn nicht erkannte, war dem Weißen Knecht ein Rätsel. Wahrscheinlich glaubte er wie alle anderen Insulaner, er habe damals in der Sturmnacht sein Leben verloren.
Eyke räusperte sich und richtete sich auf.
»Aber die Sache jetzt ist um einiges ernster. Sonst wären wir nicht gekommen. Sie wollen uns umbringen, Weißer Knecht.«
»Wer will das tun?«
»Switterts, dieser verfluchte Geheimrat. Er hat seine Soldaten auf uns gehetzt. Wegen Unterschlagung, Bestechlichkeit, Landesverrat und Rebellion.«
»Was genau ist passiert?«
»Es ist eine lange Geschichte.«
»Nun, aufs Geschichtenerzählen verstehst du dich doch recht gut, denke ich.«
Eyke ließ sich auf einem Strohballen nieder und legte den Sack ab, den er über der Schulter getragen hatte. Seine Begleiter gesellten sich ebenfalls dazu.
»Erinnert Ihr Euch an den Septembersturm vor drei Monaten?«, begann der Schiffer seinen Bericht.»Der Tag der Beerdigung, als Kanzler Brenneysen so plötzlich … «
»Natürlich erinnere ich mich. Fang endlich an!«
»Nun, ich war ein paar Tage auf Juist. Zwar hab ich Frau und Kind in Norden, aber wie es manchmal so ist, gibt es auch auf meiner Heimatinsel eine kleine Familie, um die ich mich sorgen muss. Nun, ein Sturm hatte sich schon seit ein paar Tagen angekündigt, und meine Schaluppe schaukelte gewaltig im Seegatt zwischen Borkum und Juist. Also bin ich auf dem Eiland geblieben. Hab bei Frauke geschlafen. Und abends ein paar Bier im Hause des Inselvogts getrunken. Er ist ein feiner Kerl, das dachte ich bis zu jenem Abend zumindest. Er hat als Einziger die Schankerlaubnis vom Fürsten und geht damit sehr großzügig um – vor allem sich selbst gegenüber.
An diesem Abend waren auch noch andere Männer in der Schankstube, Tammo, Ette, Bengt und Uke. Das sind die vier Männer, die Ihr gerade neben mir sitzen seht. Alles ehrliche, fleißige Kerle, sie sich nichts haben zuschulden kommen lassen, genau wie ich.«
»Nun ja, wie man es nimmt … «, kommentierte der Weiße Knecht.
»Es war wohl schon nach Mitternacht. Wir hatten auflaufend Wasser, und der Orkan
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