Die Inszenierung (German Edition)
Dann wird, was ich empfinde, vernichtet. Ich weiß nicht, wie ich das machen soll. Gerda, dein Wille geschehe! Gerda, komm. Komm doch endlich! Zu mir!
Gerda geht um das Bett herum, setzt sich aufs Bett, er zieht sie zu sich. Weil das Bett so eingestellt ist, dass das Kopfteil ziemlich steil steht, ergibt es sich, dass sie halb liegt, halb sitzt. Ziemlich Pietà-mäßig. So bleiben sie lang.
Ich spür’s ja, Gerda, wie viel Atem du holst, ach, Gerda, atme aus, lass einfach alles ungesagt! Ich will mit dir in Frieden leben. Nichts als das.
Ich habe mich vorbereitet.
Ich spür’s.
Und kann jetzt nicht, wie ich will. Wie ich müsste! Mir fährt schon mal dazwischen von gestern eine noch nicht Vierzigjährige. Sie mit dem Kind an der Ostsee. Kommt heim, der Mann ist ausgezogen, hat den Hausrat geteilt, genau die Hälfte mitgenommen. Sie hatte sich davor ihre zu großen Brüste verkleinern lassen. Dann noch ein Unfall mit dem Auto, sie durch die Scheibe, dann monatelang Narbenschleifen, sie kommt sich vor wie Frankenstein. Narben überall. Auf der Brust, im Gesicht. Der Mann Diplom-Psychologe in einem Reha-Zentrum. Er hilft den Patienten, aus ihrem Leiden Kraft zu schöpfen. Sie sagte: Ich leb halt immer noch. Das ist der einzige Fehler, dass ich noch lebe. Mein Mann nimmt mir das mit Recht übel. Dass ich ihr nicht helfen kann! Ich schlafe keine Nacht mehr! Meine Spritzen nützen nichts mehr! Sie kann nicht mehr still sitzen. Den ganzen Tag rumlaufen. Bis zur Erschöpfung.
Gerda spricht nicht weiter.
Immer nehmen dich deine Patienten gefangen. Deine Patienten sind Vampire. Immer schon. Sie merken, dass du ihnen den Hals hinhältst.
Ich frage dich: Wie kommt dir der Mann vor?
Du hast keine Narben. Nichts an dir ist zerstört. Ich sage dir hundertmal: Welch ein Glück, dass du so aussiehst. So ganz und gar wie immer.
Trotzdem verlässt du mich. Regelmäßig.
Verlassen? Ich dich! Gerda, wo ich bin, bist du.
Seit sieben Tagen, jeden Morgen, wenn ich komme, seh ich an deinen Augen, dass du das schreckliche Mittel genommen hast.
O je, geht das wieder los.
Du streitest es ab, wie immer. Das ist grotesk. Du siehst aus wie ein Boxer, der gerade einen Kampf verloren hat. Zur Sache: Dass es mit der Nachtschwester regelmäßig zum GV kommt – du gestattest, dass ich das dürftige Wort Geschlechtsverkehr so abkürze …
Ich bitte darum.
GV mit der Nachtschwester. Da das strikt verboten, also für die Frau grell riskant sein muss, ist eine Notwendigkeit entstanden, sagen wir, höherer Art. Höher als Klinikgesetz, Anstand und so weiter. Wahrscheinlich gilt Liebe als die alles erklärende und entschuldigende Ursache. Bekannt genug ist, dass GV ohne Liebe stattfinden kann. Statistisch gesehen wahrscheinlich viel häufiger ohne als mit oder durch Liebe stattfindet. Aber ebenso sicher: Liebe kann durch GV entstehen. Und noch sicherer: Was zum GV führt, ist in aller Regel nicht Liebe. Liebe kann eine Folge des GV sein. Kann! Was zum GV führt, ist bekannt. Warum aber dann Liebe? Man muss jemanden, mit dem man Tennis spielt, nicht lieben. Und kann doch leidenschaftlich gern mit ihm Tennis spielen. Die Sprache, die der GV produziert, ist nicht die Sprache der Liebe. Sondern? Sondern, sagen wir einmal, die des Konsums. Also der Leistung. Im GV zelebrieren die Partner einträchtig einen optimalen Verlauf. Je mehr sie einander als Erlebende erlebbar machen, um so mehr haben sie selber davon. Irgendwo habe ich gelesen: Die Erregung des anderen sei wichtiger als die eigene. Ich widerspreche: Die Selbsterregung ist das Wichtigste. Und davon erst hat dann auch der andere was. Die beim GV produzierte Sprache zeigt, dass der bloße, der sprachlose GV nicht das Ideal ist. Und je wichtiger die Sprache bei der Optimierung des GVs ist, desto größer der Anteil der Mache. Man muss das nicht Lüge nennen. Es genügt zu wissen, dass die verbale Mache mehr macht, als die bloße Natur kann, ja sogar will. Jetzt nur noch: Der GV ist zweifellos der Motor, der unsere Welt im Gang hält. Es ist tausendmal erwiesen und bewiesen, was alles letzten Endes nur um des GVs willen geschieht. Jetzt aber: Darf man es erstaunlich finden, dass Männer und Frauen, die außerhalb des GVs ihre Persönlichkeit pflegen und hegen, die geschätzt und geachtet werden als die einzigartigen Persönlichkeiten, die sie doch sind, darf man es erstaunlich finden, dass sie als GV-Teilnehmer allen gleichen, denen sie sonst zu gleichen einfach ablehnen? Männer und
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