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Die Inszenierung (German Edition)

Die Inszenierung (German Edition)

Titel: Die Inszenierung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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verbürgt, dass Schiller noch für diese monogame Zurichtung gesorgt hat. Dass Schiller privat mit den Schwestern Lengefeld großzügiger praktizierte, passt ins Bild: Moral-Milieu!
    Wie alt war Goethe, als er das änderte?
    Er war … siebenundfünfzig.
    So alt bist du eben noch nicht.
    Ich war noch nicht fünfundzwanzig und habe gleich die Dramaturgie der Pistole inszeniert statt das Schauspiel für Liebende, das er mit siebenundzwanzig geschrieben hatte. So kühn war er mit siebenundzwanzig. So feig war ich von Anfang an. Aus mir konnte doch nichts werden. Nichts als ein Dekorateur der Lüge. Keine fünfundzwanzig und schon feig. Und bin’s geblieben. Bloß keinen Anstoß erregen. Die Lüge fortsetzen von Mal zu Mal zu Mal. Das Prinzip Verheimlichung! Wie viele Stücke hören eigentlich mit einem Pistolenschuss auf?! Die Dramaturgie der Feigheit. Selbstmord ja! Aber nur in Wirklichkeit! Auf der Bühne muss eine Lösung erspielt werden! Erspielt! Sag jetzt nichts, Gerda. Du wärst für das Trauerspiel. Klar. Das Leben als Trauerspiel. Wie gehabt, wie gehabt, wie gehabt. Und jetzt sage ich dir, Gerda, ich werde Stella inszenieren. Aber nicht das Trauerspiel, sondern das Schauspiel für Liebende. Ich bin dein! Wir sind dein! Gerda, sag jetzt nichts, wart bis zur Premiere! Es soll ein Lehrstück werden für uns alle!
    Shakespeare hat …
    Ja, ja, ja, zurück zum Moral-Milieu. Maß für Maß. Geben wir dir und Shakespeare recht, dann gibt es nichts Unschuldigeres als den GV. Man steckt sein Zeug irgendwo hinein, und nachher ist man wieder ein Individuum. Ich habe dir zugehört. Kannst du mir auch zuhören?
    Sie schaut auf die Uhr.
    Ja, natürlich.
    Versprochen?
    Versprochen.
    Ich schildere dir, was passiert. Und ich sage nicht dazu, mit wem und wann. Es geht nur um die Sache. Der, um den es sich dabei handelt, hätte von einem angesagten Untergang der Welt nichts wissen wollen, es sei denn, das angesagte Weltuntergangsdatum hätte bedeutet, dass er zu dem GV, auf den er gerade zulebte, nicht mehr kommen werde. Er lebte nämlich von GV zu GV. Erfüllt und gequält von einer Unersättlichkeit, die nichts mit dem zu tun hat, was einen Mann zum nächsten GV treibt: Ausstoß von Samen usw. Auch nach einem gerade vollzogenen GV sofort wieder diese Unersättlichkeit, obwohl er in diesem Augenblick zu nichts Geschlechtlichem fähig gewesen wäre. Eine Gier, die er Sehnsucht nannte. Sehnsucht nach einer Frau. Und was ist das für eine Frau? Seit die Haare auf seinem Kopf weniger werden, sind ihm die Haare sonstwo mehr wert. Die Haare auf seinen Schultern sind ihm die liebsten. Und sie, diese Frau, fährt über diese Schulterhaare hin, als wären es Gräser oder Blumen. Auf jeden Fall tut sie das um ihretwillen. Sie genießt es. Und ihm wird klar, wenn sie es um seinetwillen täte, wäre es für ihn nichts wert.
    Ich bin …
    Entschuldige. Nur das noch. Etwas über einen bestimmten Zeitgenossen zu einer bestimmten Zeit. Wir können dann beide überlegen, wie wir zu den Auslassungen dieses Zeitgenossen stehen.
    Augustus zögert.
    Er braucht, lässt er uns wissen, jemanden, der seinen Körper liebt. Nicht, um ihm einen Gefallen zu tun. Im Bett wirkt nur, lässt er uns wissen, was man braucht. Selber braucht. Er kann, lässt er uns wissen, seinen Körper nur ertragen, wenn jemand diesen Körper braucht. Wenn jemand etwas hat von seinem Körper. Er möchte seinen Körper lieben. Aber so, wie der jetzt ist, kann er ihn nur lieben, wenn jemand ihn liebt. Und diese Frau liebt seinen Körper. Das erkennt er daran, wie sie reagiert, wenn er sie berührt. Moment noch. Sich nackt erleben. Im Bad. Wenn seine Frau und er einander begegnen. Sie wirkt mehr auf ihn als er auf sie. Er weiß, sie würde ihr Leben für ihn opfern, eine Niere spenden und sonst was. Aber im Bad, in Reichweite, ihn schnell ganz unverschämt anlangen, das kommt nicht vor. Nicht mehr. Das heißt, sie sind nicht mehr nackt. Aber nackt sein, das ist für ihn Leben. Nackt sein, das heißt seit Adam und Eva: sich schämen und darum unverschämt sein wollen. Nackter als nackt. Immer noch nackter. Scham und sich schämen, das ist ein von Widersprüchen gepeitschtes Gefühl. Also: Für eine Frau nicht mehr nackt sein ist überhaupt nicht mehr nackt sein. Und nicht mehr nackt sein ist ein Todesurteil.
    Na und?
    Das hab ich verdient. Wer leben will, ist zum Tod verurteilt. Nur wer nicht leben will, darf leben.
    Du willst …
    Moment noch. Unser Zeitgenosse kommt sich in

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