Die Invasion - 5
Überlebender - das Einzige, was von seinen vorderen Reihen noch übrig geblieben war - schaffte, tatsächlich weiter vorzurücken, statt voller Entsetzen die Flucht anzutreten oder sich einfach zu Boden fallen zu lassen, hätte der Graf nicht sagen können. Doch irgendwie schafften sie es, und es brach ihm fast das Herz, mitansehen zu müssen, mit welcher Tapferkeit sie auf die Signalhörner reagierten.
Sie marschierten weiter, stolperten über tote und verwundete Kameraden hinweg. Sie wateten in den Pulverdampf hinein, stürzten sich geradewegs dieser Sturmfront charisianischer Schützen entgegen wie Männer, die dem Wind trotzten. Wie Hagel prasselten immer weiter großkalibrige Gewehrkugeln auf sie ein, durchschlugen mit einem dumpfen, feuchten Klatschen menschliches Fleisch.
Die Charisianer schauten zu, wie die corisandianischen Truppen auf sie zukamen. Selbst die Männer, die mit ihren Schüssen Mancoras Truppen immer weiter dezimierten, hatten erkannt, welchen Mut es erforderte, unter derartigen Umständen immer weiter vorzurücken. Doch Mut war nicht genug angesichts eines derart unerwarteten, taktischen Nachteils. Es war nicht die Schuld Gahrvais, es war nicht die Schuld Mancoras. Niemand hatte Schuld. Aber das änderte nicht das Geringste. Im Abstand von fünfzehn Sekunden fauchten Mancoras Truppen jedes Mal achthundert Kugeln entgegen, jede von ihnen einen halben Zoll im Durchmesser, und diese mutigen Soldaten bestanden nur aus Fleisch und Blut.
Die vorrückenden corisandianischen Bataillone waren wie die Sandburg eines Kindes bei Flut: Sie wurden auseinander gerissen, zerfetzt, zerschmettert, brachen zusammen, verschwanden einfach, wurden bei jedem Schritt weniger. Die Männer marschierten in eine Wüste der Zerstörung hinein, einem Vorhof der Hölle selbst, in die Halle des Todes. Das Dach dieser Halle bestand aus Rauch und Zorn; die Luft darin war angefüllt mit dem Gestank vergossenen Blutes, dem Dröhnen charisianischer Gewehre und den Schreien der Verwundeten, und das war mehr, als Sterbliche zu ertragen vermochten.
Die vordersten Bataillone brachen nicht auseinander. So hätte man das nicht ausdrücken können. Es waren nicht mehr genug Soldaten da, um die Formation auseinander brechen zu lassen. Stattdessen starben Mancoras Männer einfach nur.
Die Bataillone, die ihnen folgten, hatten geringfügig mehr Glück. Sie begriffen, dass nicht einmal aller Mut der Welt sie durch diese Feuerzone brächte. Es war einfach nicht möglich, und so verlor die Formation jeglichen Zusammenhalt.
»Jawoll!«, schrie Clareyk, als die Formation der Corisandianer schlichtweg auseinander fiel.
Pikeniere warfen ihre unhandlichen Waffen fort, Musketiere schleuderten ihre Musketen von sich, Soldaten ließen alles zu Boden fallen, was sie vielleicht irgendwie hätte behindern können, und sie rannten davon. Die Schützen der Marines brachen in raues, bellendes Triumphgeschrei aus. Zugleich war dieses wolfsartige Geheul beinahe schon ein Salut vor dem Mut der Corisandianer, die geradewegs in diesen Schmelzofen hineinmarschiert waren.
»Blasen Sie zum Vorrücken!«, befahl Clareyk.
»Aye, Sir!«, bestätigte Colonel Zhanstyn, und die Dritte Brigade setzte sich erneut in Bewegung.
Charlz Doyal stieß einen Fluch aus, als er sah, wie Mancoras Flügel einfach zerfiel. Der
Artilleriekommandeur hatte genau begriffen, was geschehen war. Aber auch dieses Begreifen änderte nicht das Geringste. Er hatte trotzdem gerade die Infanteristen verloren, die bislang die rechte Flanke seiner belagerten Batterien geschützt hatten. Es würde auch nicht mehr lange dauern, bis der linke Flügel der Charisianer geradewegs auf seine ungeschützte Rechte zuschwenken würde. Die Entfernung, über die hinweg der Feind Mancoras Infanterie aufgerieben hatten, verriet Doyal, was geschehen würde, wenn die konzentrierten Salven der charisianischen Truppen sich mit dem Hagel an Traubenkartätschen und den gezielten Schüssen der Scharfschützen vereinigten, die schon jetzt seine Männer dezimierten. Wenn er jedoch jetzt den Rückzug antrat, wenn er versuchte, seine Geschütze abrücken zu lassen, dann wäre auch Barcors Rechte ungeschützt. Und wenn die linke Flanke der Charisianer rasch genug vorrücken konnte, dann würden sie die Brücke vielleicht sogar noch vor Barcor erreichen. Wenn ihnen das gelänge, würden sie Barcor einfach einkesseln ...
Doyals Kiefermuskeln spannten sich so fest an, dass ihm die Zähne schmerzten, als er
Weitere Kostenlose Bücher