Die Invasion - 5
unter derartigen Bedingungen Wert auf angemessene militärische Etikette legte. Doch Gahrvai war davon überzeugt, wenn die vertrauten Regeln weiterhin eingehalten würden, helfe das den Männern dabei, sich auf ihre Aufgabe zu konzentrieren. Außerdem rief ihnen das immer wieder ins Gedächtnis zurück, dass sie schließlich Soldaten waren, und nicht nur ein verängstigter Haufen Pöbel, der sich hinter irgendwelchen Schutzwällen verkroch.
Und ich werde auch nicht zulassen, dass die sich in einen Haufen Pöbel verwandeln!, versprach er sich selbst grimmig - und all seinen Untergebenen damit ebenfalls.
»Guten Tag, Major«, sagte er nun.
»Guten Morgen, Sir Koryn.«
»Wie ist die Lage heute?«
»Unverändert, Sir.« Der Major zuckte mit den Schultern. »Ich denke, einige Männer von deren leichten Infanterie sind heute am frühen Morgen hier herumgeschlichen - noch vor Sonnenaufgang. Aber seitdem haben wir nichts mehr von ihnen gesehen.«
»Und deren Scharfschützen?«
»Gehen uns ziemlich auf die Eier, Sir«, gab der Major unumwunden zurück. Dann verzog er den Mund zu einem schiefen Grinsen. »Wie üblich«, setzte er hinzu.
»Wie schlimm sind Ihre Verluste?«
»Um ehrlich zu sein, Sir: Ich habe das Gefühl, die Gegenseite ist heute nicht richtig in Form. Ich habe zwei Verwundete, nur einer davon ernsthaft. Das war es aber auch schon.«
»Gut!« Gahrvai gab dem jüngeren Offizier einen Klaps auf die Schulter und fragte sich, ob es sich für den Major genau so bizarr anhörte wie für ihn selbst, wenn man die Lage - man selbst hatte zwei Verwundete, die Gegenseite nicht einen einzigen Verlust - als gut bezeichnete.
Andererseits ist es nun einmal so, also hat es auch gar keinen Sinn, so zu tun, als wäre es anders. Außerdem könnte ich damit doch sowieso niemanden hinters Licht führen.
Gahrvai stieg auf den Schützenauftritt der Schanze und spähte vorsichtig über die Brüstung hinweg. Es sausten ihm zwar nicht sofort wieder charisianische Kugeln um die Ohren. Aber Sir Koryn nahm sich vor, nicht davon auszugehen, dass es auch so bleiben würde. Es würde eine Weile dauern, bis er das Gelände begutachtet hätte, um abzuschätzen, auf welchen Wegen sich der Feind dieser Stellung nähern könnte.
Der Talbor-Pass stellte die kürzeste, direkteste Route durch die Dark Hill Mountains dar, auch wenn bei einem Weg von beinahe siebenundzwanzig Meilen ›kurz‹ ein sehr relativer Begriff war. Zugleich war der Pass ein gänzlich schlechter Ort für einen Kampf. ›Kürzeste und direkteste Route‹ sagten nichts darüber aus, ob der Weg auch ›gerade‹ verlief - und kein General, der noch ganz bei Sinnen wäre, würde an einem solchen Ort einen Angriff vornehmen. Genau deswegen befand sich Sir Koryn Gahrvais Armee ja jetzt auch hier.
Etwa die westliche Hälfte der Passstraße war recht breit angelegt. Dort kam man über weite Strecken ziemlich gut voran. Doch sobald man weiter nach Osten vordrang, wurde die Straße ein Pfad und zunehmend schmal und gewunden. Zumindest an einer Seite verlief der Pfad gleich an einem Steilhang ... und das war noch nicht alles. Die wenigen Stellen, an denen man es nicht mit nacktem Fels zu tun hatte oder mit einer so dünnen Erdschicht auf Fels, dass kaum Gras darauf wuchs, waren von einem dichten Gewirr aus Drahtreben und Dolchdorn überwuchert. Was die Drahtrebe nicht zu umschlingen vermochte, würden die sechs Zoll langen, messerscharfen Dornen der anderen Gewächse innerhalb kürzester Zeit zerfetzen. Und das, was Gahrvai dabei am besten gefiel, war, dass es praktisch keine Stelle gab, an der man Frontlinien von mehr als einhundertfünfzig Schritt Breite hätte aufmarschieren lassen können. Bei einem Großteil des Weges kam man auf weniger als fünfzig Schritt, und das war für seine eigenen Musketen mit den glatten Läufen ebenso geeignet wie für die charisianischen Gewehre. Und zugleich bedeutete es auch, dass die corisandianischen Geschützbatterien mit ihrer geringeren Reichweite immer noch eine Chance gegen die leistungsstärkeren Kanonen der Charisianer hatten.
Natürlich konnte Gahrvai die Charisianer nicht davon abhalten, ihre Scharfschützen auf den steilen Abhängen herumklettern zu lassen, sodass sie gute Schusspositionen einnehmen konnten. Aber es war schon sehr rasch offensichtlich geworden, dass die Anzahl der Charisianer, die in der Lage waren, derartig beeindruckende Fernschüsse abzugeben, beschränkt war. Sie sorgten zwar unablässig für schmerzliche
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