Die Invasion - 5
genau, dass dies hier nichts Persönliches war. Oder zumindest nichts allzu Persönliches. Wenn es um das Überleben von Mutter Kirche ging (und das Überleben der ›Vierer-Gruppe‹), dann war der Großinquisitor davon überzeugt, dass die alte Regel galt: Geschäft ist Geschäft.
Und trotzdem war er stinksauer.
Jetzt spülte er den großen Bissen mit einem gewaltigen Schluck Wein hinunter und zuckte mit den Schultern.
»Wenn man's bislang noch nicht allenthalben verstanden hat, wird sich das schon bald ändern«, sagte er, nun etwas besser zu verstehen, und griff erneut nach seiner Gabel.
So wenig Trynair und er einander mögen mochten, vor allem seit jüngster Zeit, wussten sie beide doch genau, dass sie die wahren Machthaber innerhalb der ›Vierer-Gruppe‹ waren. Daher hatten sie es sich, seit diese Charisianer sich dafür entschieden hatten, derart viel Unruhe zu stiften, zur Gewohnheit gemacht, mindestens zweimal in jedem Fünftag gemeinsam zu speisen - zusätzlich zu den großen Geschäftsessen, an denen stets auch Rhobair Duchairn und Allayn Maigwair teilnahmen.
»Ich habe gegenüber diesem Idioten Jynkyns unten in Delferahk meinem Missfallen schon sehr deutlich Ausdruck verliehen.« Clyntahns Miene verfinsterte sich. »Wenn er die Lage anständig im Griff behalten hätte, dann wäre es nie zu diesen Unerfreulichkeiten in Ferayd gekommen.«
Es gelang Trynair zu nicken, ohne das Gesicht zu verziehen. Das, was in Ferayd vorgefallen war, war nach wie vor ein heikles Thema zwischen seinem Kollegen und ihm. Doch was Trynair im Augenblick noch deutlich mehr Sorgen bereitete, war, wenn er sich selbst gegenüber ganz ehrlich sein wollte, wie sehr Clyntahn sich selbst einzureden schien, seine eigene Version der dortigen Ereignisse entspräche tatsächlich der Wahrheit, trotz der offiziellen Schlussfolgerungen des Ferayd-Tribunals und trotz seines eigenen öffentlichen Geständnisses und der zugehörigen Buße. Es war schon schwierig genug, sich mit den Auswirkungen dieses ganzen Desasters herumschlagen zu müssen. Da war es nicht opportun, dass der Großinquisitor sich selbst irgendwelchen Wunschvorstellungen hingab!
Ich frage mich, ob er das schon immer so gehalten hat, dachte Trynair. Ist es möglich, dass das, was ich immer für Zynismus und Pragmatismus gehalten habe, in Wirklichkeit Aufrichtigkeit gewesen ist? Eine Aufrichtigkeit allerdings, die ganz auf seiner Fähigkeit zur Selbsttäuschung beruht? Diese Fähigkeit, sich stets seine eigene ›Wahrheit‹ zu schaffen, wann immer die tatsächliche Wahrheit zu ... unpraktisch wäre? Oder hat er das erst entwickelt - oder zumindest weiterentwickelt -, seit die Charisianer ihm nicht den Gefallen getan haben, sich an seinen Plan zu halten und einfach tot umzufallen?
Auf diese Fragen wusste der Kanzler keine Antwort. Zumindest jedoch wusste er jetzt, dass Clyntahn gewisse Eigenheiten hatte, die ihm, Trynair, zuvor nie aufgefallen waren. Und es war durchaus möglich, dass diese Eigenheiten eine echte Gefahr darstellten - und das nicht nur für Gegner der ›Vierer-Gruppe‹.
Damit wurde wichtiger denn je, dafür zu sorgen, Clyntahn dazu anzuhalten, stets bei der Sache zu bleiben, und ihn gleichzeitig unter Kontrolle zu halten.
Als ob ich nicht schon genug zu tun hätte! Ich weiß wirklich nicht, was schlimmer ist: Zhaspahrs Art und Weise, alles was irgendwie mit Charisianern zu tun hat, mit der Subtilität eines Drachen in einer Glashütte anzugehen, Rhobairs wiederentdeckte Frömmigkeit oder Allayns Dummheit! Ich komme mir wirklich langsam vor wie Meister Traynyr!
Das Weinglas an seinen Lippen verbarg, dass er unwillkürlich lächeln musste. Natürlich kannte er die Wortspielereien, die man in den Umkleideräumen des Tempels zu hören bekam: Immer wieder wurde sein Nachname mit dem traditionellen Bühnenmeister des Puppentheaters in Zusammenhang gebracht. Selbstverständlich sprach niemand derartige Witze in seiner Gegenwart aus. Aber so richtig geärgert hatte er sich über die Wortspielereien nie. Schließlich sah er sich selbst häufig in eben der Rolle des Puppenspielers, und das gleich in mehrerlei Hinsicht.
Doch früher ließ sich das Spiel viel leichter beherrschen, rief er sich ins Gedächtnis zurück, und schlagartig verschwand das Lächeln.
»Ich bin lange nicht so davon überzeugt, dass Bischof Ernyst hätte die Ereignisse in eine andere Richtung lenken können, wie Sie das zu sein scheinen, Zhaspahr«, sagte er milde und stellte sein Glas
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