Die Invasion - 5
Zeitpunkt noch nicht ganz gelungen, das Amt des eigentlichen Regenten auf eine rein repräsentative Funktion einzuengen. Sharleyans Vater aber, König Sailys, war aus deutlich härterem Holz geschnitzt gewesen. Dass er als junger Mann hatte mitansehen müssen, wie sein Vater immer und immer wieder gedemütigt worden war und die Krone ständig an Macht einbüßte, hatte nicht unerheblich dazu beigetragen. Doch zugleich war Sailys bewusst geworden, dass ein gewisser Parteigeist unter ›seinen‹ Adligen drohte, Chisholm in verfeindete Gruppen zu spalten. Bürgerkrieg drohte und hätte unvermeidlich zu Blutvergießen geführt und all jene Schrecken über das Volk gebracht, die zu vermeiden sein Vater immer weiter den Machtanspruch der Krone beschnitten hatte. Sailys sah als einzigen Ausweg, es sich zur Aufgabe zu machen, diesen Bürgerkrieg zu verhindern. Das war ihm gelungen, nicht allein, aber mit der Hilfe zweier Männer, deren Unterstützung er dringend benötigt hatte, um diese anscheinend hoffnungslose Aufgabe zu erfüllen. Der eine Mann war Mahrak Sahndyrs. Er hatte Sailys als Erster Ratgeber und engster Vertrauter gedient. Der zweite Helfer war des Königs zukünftiger Schwager gewesen, Herzog Halbrook Hollow.
Der Adel hatte Irwain III. alle Machtmittel genommen, die für eine starke Zentralgewalt unabdingbar gewesen wären. Doch der König hatte seinen Status als Staatsoberhaupt behalten ... und die Krone hatte immer noch das Recht, das Parlament zusammenzurufen oder aufzulösen. Nachdem der alte König gestorben und ihm Kronprinz Sailys auf den Thron gefolgt war, verlangte das Gesetz des Königreichs, dass das Parlament zusammentrete, um den neuen Monarchen als Oberhaupt des Landes zu bestätigen und ihm Treue zu schwören.
Natürlich hatte jeder gewusst, dass es sich hierbei um eine reine Formalität handelte. Doch eben hier hatte der Adel sich gründlich getäuscht. Die Aristokraten, die sich zu König Irwains III. Herrn aufgeschwungen hatten, hatten nicht bemerkt, dass Sailys und sein Freund Mahrak Sahndyrs die letzten zehn Jahre der Regentschaft König Irwains Pläne geschmiedet hatten. Sie hatten genau geplant, wie der Tag der Inthronisierung und Bestätigung durch das Parlament nach ihren Vorstellungen ablaufen sollte. Gemeinsam mit einigen wenigen, peinlich genau ausgewählten Mitgliedern des Oberhauses hatten sie dafür gesorgt, dass das Parlament zum richtigen Zeitpunkt mit den richtigen Mitgliedern besetzt sein würde. Diese Manipulationen waren derart unbemerkt und so geschickt geschehen, dass der politische Gegner nicht das Geringste geahnt hatte.
Das erste Parlament unter König Sailys bezeichnete die chisholmianische Geschichtsschreibung später gern als das ›Parlament der Hingerissenen‹. Angeblich, weil alle sich in ihrer Begeisterung über ihren neuen König so hatten hinreißen lassen, dass sie nur zu gern in die ›bescheidenen Änderungen‹ einwilligten, die er sich ausbat. Einen der wichtigsten Punkte dieser ›bescheidenen Änderungen‹ hatten Sailys und Green Mountain sorgsam in so vielen Nebensätzen versteckt wie nur möglich: Dem König sollte von nun an die Aufstellung eines kleinen stehenden Heeres erlaubt sein. Dieser Änderungsvorschlag war durchaus nachvollziehbar. Schließlich stellte damals Corisande eine wachsende Bedrohung für das Königreich dar - und somit auch für Adel und Parlament. Der Änderung wurde daher zugestimmt. So jedenfalls konnte man es in den gängigen Geschichtswerken lesen. Tatsächlich hatten die Lords des Oberhauses in dieser winzigen, neuen ›Royal Army‹, der man nur eine minimale Truppenstärke zubilligte, vor allem ein schönes neues Spielzeug gesehen, das sie ihrem jugendlichen Monarchen nur zu gern in die Hand gaben, damit er sich damit ein wenig amüsieren konnte. Man glaubte ihn so von ernsthaften Aufgaben abzulenken wie beispielsweise die Regierungsgeschäfte.
Doch manches Spielzeug ist eben doch gefährlicher als anderes, und bevor die mächtigen Adeligen sich der Gefahr bewusst waren, hatten der König und seine Hand voll vertrauenswürdiger Ratgeber eine richtige Royal Army aufgestellt, die größer war, als der Adel erwartet hatte, und die ausschließlich der Krone gegenüber verpflichtet war. Diese Armee war anders als alle zuvor nicht vom Heerbann der einzelnen Feudalherren abhängig, auf die alle bisherigen Monarchen angewiesen gewesen waren.
Die hätten das lieber ›das Parlament der Idioten‹ nennen sollen, dachte Cayleb
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