Die Invasion - 5
beider Reiche zu regieren, und ich brauche Ihnen nicht zu erzählen, dass eben jene Reiche in besseren Händen nicht sein könnten.«
Wieder legte er eine Pause ein und wartete ab, dass seine ersten Worte ihre Wirkung auch wirklich nicht verfehlten. Eigentlich hatte er noch nichts Neues gesagt. Und doch hatte er zum ersten Mal vor dem Parlament von Chisholm deutlich ausgesprochen, dass er Sharleyan als vollwertige Mitregentin anerkannte.
»Jetzt, da wir uns der ›Vierer-Gruppe‹ gegenübersehen und dazu den Reichen des Festlandes, die, über den ›Amboss‹ und den Golf von Tarot hinweg, unter deren Einfluss stehen, muss sich Ihre Majestät, die Kaiserin, nicht nur um einfache politische und finanzielle Fragen kümmern, sondern auch alle militärischen Entscheidungen fällen, die erforderlich sind, um unser Volk vor den Feinden zu schützen. In diesem Moment werden unsere Streitkräfte ihre Strafaktion gegen Delferahk abgeschlossen haben - die gerechte Vergeltung für das Massaker in Ferayd. Und es wird in der Verantwortung Ihrer Majestät, der Kaiserin, liegen zu entscheiden, welche weiteren Einsätze erforderlich sind. Dies ist eine Aufgabe, die niemand sonst zu bewältigen in der Lage wäre, und ich vertraue blind darauf, dass sie dabei erfolgreich sein wird. Aber wir dürfen uns nicht der Illusion hingeben, diese Entscheidungen würden ihr leichtfallen.
Meine Lords und Ladies, die Gefahr, die vor uns liegt, die Entscheidungen, die wir fällen müssen, der Preis, den wir zu zahlen haben, werden enorm sein.« Langsam wanderte sein Blick über die Sitzreihen des Hochadels und der Bürgerlichen. »Niemand in der Geschichte von Safehold hat sich jemals einem so mächtigen Feind gegenübergesehen wie wir jetzt. Kein anderes Reich, kein anderes Volk hat sich jemals im Krieg gegen die Kirche befunden, die doch eigentlich unser aller Mutter sein sollte. Wir, das vereinte Volk der Königreiche Charis und Chisholm, kennen unseren Feind. In Charis waren wir gezwungen, uns gegen einen gänzlich ungerechtfertigten - und auch keinesfalls zu rechtfertigenden - Angriff zu verteidigen, den korrupte Männer in Zion angeordnet haben. Diese Männer haben all das missbraucht, was Mutter Kirche hätte sein sollen. Tausende der Untertanen meines Vaters - und auch mein Vater selbst - haben ihr Leben dafür hingegeben, diesen Angriff abzuwehren. Sie haben ihre Wohnstätten und Familien verteidigt - und den Glauben, dass Männer und Frauen Gott selbst verehren sollen, nicht aber das Haupt vor vier korrupten, arroganten und gotteslästerlichen Männern neigen, deren Handeln die Gewänder, in die sie sich kleiden, ebenso entweihen wie die Luft, die sie atmen.«
Wieder hielt Cayleb inne. Dann sprach er mit ein wenig leiserer Stimme weiter; klar und deutlich, und doch leise genug, dass seine Zuhörer sehr genau lauschen mussten, um ihn zu verstehen.
»Oh ja, meine Lords und Ladies: Tausende von Charisianern sind gestorben. Doch Gleiches gilt auch für Tausende von Chisholmianern. Chisholmianer, deren einziges Vergehen allein darin bestand, dem Befehl der ›Vierer-Gruppe‹ Folge zu leisten. Diese ›Vierer-Gruppe‹ hat Königin Sharleyan befohlen, sich dem schlimmsten Feind ihres eigenen Reiches in einem Angriff anzuschließen - einem Angriff, geführt gegen einen Freund, der Chisholm niemals Schaden zugefügt hat. Sie hatte keine andere Wahl. Diese Männer der ›Vierer-Gruppe‹ sprachen mit der Autorität göttlicher Sendung - zumindest haben sie das behauptet. Sie verfügten über die gesamte Autorität der Inquisition und die Autorität von Mutter Kirche selbst. So war Königin Sharleyan gezwungen, sich dem Willen dieser Männer zu fügen. Und wie viele Ihrer Väter und Söhne, Ihrer Ehemänner und Brüder sind zusammen mit meinem Vater gefallen, weil Königin Sharleyan keine andere Wahl gehabt hat?«
Stille breitete sich im Parlamentssaal aus, und diese ließ Cayleb noch ein wenig wirken. Dann richtete er sich langsam zu seiner vollen Körpergröße auf.
»Meine Lords und Ladies, stellen Sie niemals den Mut in Frage, den Ihre Königin gezeigt hat, als sie meinen Heiratsantrag angenommen hat! Es war keine Entscheidung, die ihr leichtgefallen wäre. Doch es war die richtige Entscheidung. Es war die Entscheidung einer Königin, die nicht bereit ist, das Leben ihrer Untertanen zu opfern; es auf das Geheiß jener vier korrupten, bösartigen Männer achtlos wegzuwerfen, als seien diese Leben ebenso unbedeutend wie die Frage, welche
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