Die Invasion - 5
empfindlichen menschlichen Leibern geschah, wenn eine Kanonenkugel nach der anderen schweres Schanzkleid durchschlug und sich das massive Holz in eine Wolke todbringender, umherrasender Splitter verwandelte. Er wusste, wie es war, wenn eine Kanonenkugel von zwanzig oder dreißig Pfund Gewicht den Kameraden, der gerade noch neben einem gestanden hatte, in eine unförmig-blutige Masse verwandelte. Er wusste, wie es sich anhörte, wenn die Schreie der Verwundeten selbst noch das ohrenbetäubende Dröhnen der eigenen Kanonen übertönten. Er wusste, wie es war, wenn das Deck, das man zuvor noch mit Sand bestreut hatte, um auf den Planken besser Halt zu finden, immer weiter mit Menschenblut bespritzt, ja getränkt wurde.
Cayleb Ahrmahk wusste genau, was er vor sich sah. Er stand mit fest zusammengepressten Lippen da, die Hände hinter dem Rücken verkrampft, und beobachtete die Schlacht. Er selbst trug keine Rüstung, hatte nicht einmal ein Schwert an seiner Seite - und das war mit ein Grund für ihn, die Lippen so fest aufeinander zu pressen.
Cayleb hatte etwas anderes im Sinn gehabt, als hier zu stehen und zuzusehen. Seine Ratgeber - und Merlin - hatten aber durchaus Recht mit dem, was sie zu bedenken gegeben hatten. Die Schlacht gegen die Abwehrsysteme der Stadt Dairos konnte nur ein Ergebnis haben. So sehr die Männer hinter den Kanonen dieser belagerten Flöße auch ihren Heldenmut unter Beweis stellen mochten, sie konnten sich gegen die Feuerkraft von Caylebs Flotte unmöglich lange halten. Was das betraf, wäre es schlichtweg töricht gewesen, die gesamte Galeonenflotte unter Caylebs Kommando gegen diese schwimmenden Inseln einzusetzen. Die Schiffe hätten sich gegenseitig nur behindert. Unter derart beengten Verhältnissen, mit einer Pulverdampfdecke, die kaum vernünftige Sicht gestattete, bestand immer die Möglichkeit, dass es zu entsetzlichen Zusammenstößen von Schiffen der gleichen Einheit kam.
Und wie Merlin mitleidlos angemerkt hatte: Wenn es nicht sinnvoll sei, sämtliche Galeonen in die Schlacht zu führen, dann gebe es keinerlei Grund, die Kaiserin von Charis an der Schlacht teilnehmen zu lassen. Es sei, hatte der Seijin ausgeholt, ja nun nicht so, als müsse Cayleb seinen persönlichen Mut unter Beweis stellen, um die Männer unter seinem Kommando zu motivieren. Das Risiko zu teilen, wenn es keine zwingende Notwendigkeit für ihn gebe, genau das zu tun - und gerade jetzt, wo Sharleyan und er, Cayleb, noch einen Erben würden zeugen müssen -, wäre nicht nur gänzlich unnötig, sondern geradezu sträflich leichtsinnig. Ein einziger Kanonenkugeltreffer könne so katastrophale Folgen haben, aber eben nicht nur für Cayleb selbst, sondern für das gesamte Volk, das zu verteidigen er geschworen habe.
Cayleb hatte gerade das letzte Argument als ganz besonders unfairen Schlag empfunden, selbst für Merlins Verhältnisse. Nichtsdestotrotz hatte er sich gezwungen gesehen, sich geschlagen zu geben. Also stand er nun an der Achterdeckreling der Kaiserin von Charis und beobachtete das Gefecht aus sicherer Entfernung, unerreichbar für die feindliche Artillerie - seit drei geschlagenen Stunden. Und die anderen Schiffe mussten die Last des Gefechts tragen.
Der Kampf war nicht ganz unausgewogen. Wie Cayleb und die Kommandanten seiner Einheit bereits vermutet hatten (nicht zuletzt dank der ›Visionen‹ von Seijin Merlin), hatte Hektor von Corisande tatsächlich Geschütze gänzlich neuer Bauart in Auftrag gegeben. Er hatte nicht annähernd so viele neue Kanonen, wie er sich das zweifellos gewünscht hätte. Doch er verfügte zumindest über jemanden, der Edwyrd Howsmyn ebenbürtig war. Zusätzlich zu all den neuen Kanonen, die in Corisandes Gießereien entstanden waren, hatte ein geradezu teuflisch schlauer, übereifriger Corisandianer herausgefunden, wie man Zapfen an bereits bestehende Kanonen anschweißen konnte, genau wie dies Howsmyn gelungen war. Und anscheinend war besagter Corisandianer seit Monaten mit nichts anderem beschäftigt gewesen - und das mochte vielleicht erklären, warum zwei von Caylebs Galeonen sich aus der Schlacht hatten zurückziehen müssen, um Reparaturen vorzunehmen. Es erklärte auch, warum man an Bord der Schiffe, die sich den schwimmenden Batterien entgegenstellten, schon über zweihundert Verluste hatte hinnehmen müssen.
»Warum können diese Idioten denn nicht das Unausweichliche begreifen und endlich die Flagge streichen, ehe noch mehr Leute fallen ... auf beiden Seiten?«
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