Die IQ-Kids und die geklaute Intelligenz (German Edition)
flüsterte Anna Lísa Raggi zu: „Sie sprechen über die Briefe. Oh Mann!“ Sie belauschten das Gespräch der Zwillinge weiter.
„Ich bin mir sicher, dass sie im Briefkasten liegen, wenn wir nach Hause kommen“, sagte Hallfríður.
„Ja, kann gar nicht anders sein“, entgegnete Hallur und fügte dann, zu Anna Lísas und Raggis großer Verwunderung, hinzu: „Sollen wir sie nicht einfach wegschmeißen, bevor Papa und Mama sie sehen?“
Anna Lísa warf Raggi einen erstaunten Blick zu. „Hat er wegschmeißen gesagt?“ Sie lauschten weiter.
„Glaubst du etwa, das würden sie nicht kapieren?“, hörten sie Hallfríður sagen.
„Nein, wahrscheinlich nicht. Bestimmt nicht, nachdem gestern diese merkwürdigen blauen Briefe gekommen sind. Was sollte der Quatsch eigentlich?“, sagte Hallur ein bisschen verunsichert. „Das Einzige, was uns einen Strich durch die Rechnung machen könnte, wäre, wenn jemand aus Versehen unsere Briefe bekommen hat und die Schule informiert. Dann ruft vielleicht der Direktor an und sagt Papa und Mama Bescheid.“ Die Zwillinge verstummten und gingen nachdenklich weiter. Sie wirkten niedergeschlagen.
Anna Lísa stieß Raggi an. „Los, lass uns mit ihnen reden. Sie haben überhaupt keine Lust auf den Ferienkurs.“ Raggi dachte kurz nach und nickte dann. Er hätte die Zwillinge zwar viel lieber an einen Laternenpfahl gebunden, aber angesichts ihrer Lage war es zweifellos erfolgversprechender, mit ihnen zu reden. Sein Vater durfte auf keinen Fall die Wahrheit erfahren.
„Äh, hört mal“, sagte Anna Lísa und tippte den beiden auf den Rücken. „Wir müssen mal kurz mit euch reden.“ Die Zwillinge drehten sich verwundert um.
Und so nahmen die Dinge ihren Lauf. Anna Lísa und Raggi redeten mit Hallfríður und Hallur und fanden heraus, dass die Zwillinge auf keinen Fall im Sommer zu einem Ferienkurs wollten, wo sie noch mehr lernen müssten. Sie sagten, sie wüssten sowieso schon alles und wollten viel lieber nach Florida ins Disneyland fahren. Ihre Eltern hatten die Reise schon gebucht, aber Hallur und Hallfríður waren sich sicher, dass sie sie wieder absagen würden, wenn sich herausstellte, dass die Zwillinge zu einem Ferienkurs für Initiatoren eingeladen worden waren. Am Ende vereinbarten sie, dass keiner von ihnen irgendwem davon erzählen würde und dass Anna Lísa und Raggi, die schlechtesten Schüler aus der siebten Klasse, als Vertreter der Sundschule an dem Ferienkurs teilnehmen würden. Sie besiegelten ihren Plan mit Handschlag. Anschließend erklärte ihnen Hallur, eine menschliche Hand hätte siebenundzwanzig Knochen. Raggi versuchte, die Zahl im Kopf mit zwei zu multiplizieren, um damit prahlen zu können, wie viele Handknochen ein ganzer Mensch hätte, kam aber durcheinander und ließ es bleiben. Einhundertdrei klang doch eher unwahrscheinlich.
Das Initiativzentrum
So kam es, dass Anna Lísa und Raggi an einem sonnigen Tag Anfang Juni vor dem Hauptsitz von Biokids in Garðabær standen, wo der Ferienkurs stattfinden sollte. Anna Lísas Eltern und Raggis Vater hatten ihnen längst verziehen, dass sie im Frühjahr durchgefallen waren, Anna Lísa in Dänisch und Raggi in Dänisch, Geschichte und Werken. Sie gaben der Schule die Schuld, die nicht in der Lage war, solchen Genies superleichte Fächer beizubringen. Und während Anna Lísa und Raggi am ersten Tag des Ferienkurses vor dem riesigen Gebäude standen und es mit einem mulmigen Gefühl im Bauch anstarrten, schliefen Hallur und Hallfríður in ihren Hotelbetten in Orlando in Florida und träumten von Swimmingpools, Micky Maus und eiskalter Limonade.
Anna Lísa hatte sich schon von ihren Eltern verabschiedet, die ihr beim Wegfahren stolz winkten, aber Raggi hatte ziemliche Schwierigkeiten, seinen Vater loszuwerden. „Jetzt nimm endlich die Videokamera runter“, sagte Raggi mürrisch. „Das ist total lächerlich!“ Raggis Vater ließ sich davon nicht aus der Ruhe bringen, filmte seinen Sohn weiter und platzte fast vor Stolz.
„So, Raggi, jetzt stell dich mal neben den Jungen mit den vielen Büchern im Arm. Und schau in die Sonne!“ Sein Vater wollte offenbar einen ganzen Film drehen. „Und jetzt nimm die Schultern zurück und geh zum Eingang. Gut. Stell dich neben diese tollen Säulen und wink mir zu. Versuch, klug dabei auszusehen! Sieh mal! Die Säulen sehen aus wie DNA-Stränge!“
Raggi verdrehte die Augen und ging schnell rein. Er blieb noch nicht mal eine Sekunde bei den tollen Säulen
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