Die IQ-Kids und die geklaute Intelligenz (German Edition)
davon überzeugen, dass alle sicher angeschnallt waren –, würde er gleich da sein. Raggi schaute die Straße entlang und sah den Wagen seines Vaters um die Ecke biegen. „Rein!“, schrie er. „Alle rein!“ Die Kinder ließen sich das nicht zweimal sagen.
Im Gemeindehaus herrschte eine Bombenstimmung. Aus den Lautsprechern dröhnte Countrymusic, und auf der Bühne standen ein Mann und eine Frau mit Cowboyhüten, Jeans, karierten Hemden und Cowboystiefeln. Das mussten die Lehrer sein. Ständig brüllten sie irgendwelche Anweisungen durch den Saal, der voller Leute war, die alle im Takt tanzten. Raggi wurde schon vom Zuschauen schwindelig. Die Tänzer machten einen Schritt zur Seite, drehten sich, traten dann zur anderen Seite und stapften immer wieder mit den Hacken oder den Fußspitzen auf den Boden. „Das kriegen wir schon hin“, sagte Raggi zu Magga und zog sie auf die Tanzfläche. „Wenn die das alle begriffen haben, schaffen wir es auch.“ Sie stellten sich Seite an Seite in Positur.
Anna Lísa führte Arnar auf die Tanzfläche, stellte sich hinter ihn und legte ihre Hände auf seine Schultern. „Ich zeige es dir“, sagte sie. „Ich führe, und du folgst mir.“ Arnar nickte mit blassem Gesicht. Dem Trampeln nach zu urteilen war der Saal entweder voller Leute oder voller wilder Pferde. Tanzen führte nicht gerade die Liste der Dinge an, die Arnar unbedingt mal machen wollte. Square Dance lag sogar noch weiter unten, als mit seiner Mutter zum Nähkränzchen zu gehen.
Dennoch stellten sich Arnar und Anna Lísa wesentlich besser an als Raggi und Magga. Die beiden verhedderten sich so sehr, dass jeder von ihnen vier Beine zu haben schien. Die Leute, die das Pech hatten, neben ihnen zu landen, wurden jedes Mal angerempelt, wenn Raggi und Magga sich nach rechts wandten, während alle anderen nach links gingen. Eigentlich konnte man Square Dance nicht lernen, indem man sie nachahmte, sondern nur, wenn man genau das Gegenteil von dem machte, was sie taten.
Kurz bevor Raggi mit voller Wucht gegen den Bauch eines dicken Mannes prallte, sah er aus dem Augenwinkel die Saaltür aufgehen und seinen Vater und seine Verwandten in der Türöffnung erscheinen. Aber er konnte nicht lange hinschauen, denn er fiel auf den Boden, als Magga ihn anrempelte. Sie krabbelten wieder auf die Beine. „Wir müssen uns anstrengen, mein Vater ist da“, sagte Raggi und versuchte, seine zerknitterten Klamotten wieder glattzustreichen. Magga nickte, schob ihre Brille auf der Nase hoch und strich ihre Haare hinter die Ohren. Sie war völlig aufgelöst, was die Sache auch nicht besser machte.
„Okay“, sagte Magga, feuerrot vor Anstrengung. „Ich kriege das hin. Eins, zwei, eins, zwei …“ Vielleicht hätte man weiter als bis zwei zählen sollen, denn sie fanden den Takt nicht. Während Raggis Vater ihre Bemühungen mit zunehmender Missbilligung beobachtete, lachten seine Cousins Tränen. Raggi wurde zwischen zwei beleibten Damen hin- und hergeschleudert und landete ständig mit dem Gesicht zwischen ihren Brüsten. Magga drehte sich wie ein Kreisel und versuchte zwischendurch immer mal wieder, mit den Hacken auf den Boden zu stampfen, um ihren Tanz überzeugender zu machen. Fast jedes zweite Mal stampfte sie dabei aus Versehen einem anderen Tänzer auf die Zehen. Hilferufe und Schmerzschreie übertönten bereits die Musik. Einer der Lehrer ging ans Mikrophon, obwohl das Lied erst halb zu Ende war, und fragte, ob es nicht fürs Erste reichen würde. Alle stimmten ihm zu.
Raggi zog Magga von der Tanzfläche, an den bösen Blicken der anderen Gäste vorbei, von denen sich viele nach einem Zusammenstoß mit den Tanzgenies ihre blauen Flecken rieben. Sie gingen zu Raggis Vater und seinen Verwandten. Anna Lísa folgte mit Arnar im Schlepptau. Alle, an denen sie vorbeikamen, bemitleideten sie, denn Anna Lísa hatte ausgiebig betont, dass Arnar blind sei – genauer gesagt jedes Mal, wenn sie mit jemandem zusammengestoßen waren, was nicht selten vorgekommen war. „Was für tüchtige Kinder, findest du nicht?“, hörten sie die Leute flüstern. Anna Lísa grinste von einem Ohr bis zum anderen.
Ganz im Gegensatz zu Raggis Vater. Der war stinksauer, versuchte aber, so gut er konnte, seine Wut im Zaum zu halten. Seine Schwester, deren Mann und vor allem Raggis Cousins amüsierten sich hingegen köstlich. „Hallo Raggi“, sagte seine Tante heuchlerisch. „War wirklich nett, dich tanzen zu sehen. Dein Vater hat heute Abend schon
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