Die irische Heilerin
Vergangenheit wieder hervorzuholen.
Jetzt war es Deirdre Ó Banníon, die seinen Zorn schürte. Wenn sie ein Mann wäre, hätte er sie herausgefordert, weil sie ihrem Vater solche Lügen erzählte.
Connor schwang den Ast gegen einen Baum und zertrümmerte das Holz. Der Aufprall sandte eine Welle des Schmerzes durch sein Handgelenk, die bis zum Arm hinauf Auswirkungen zeigte, und er sog hörbar die Luft ein. Die Jungen ließen augenblicklich von ihrem Spiel ab, aber er schüttelte den Kopf, um ihnen zu bedeuten, dass sie sich keine Sorgen machen mussten.
Er wusste nicht, ob sie überhaupt um Erlaubnis gefragt hatten, als sie zu ihm gekommen waren. Aber jetzt war es an der Zeit, dass sie sich den Vorbereitungen für den aenach anschlos sen. Ihre Pflegeeltern würden sicher schon nach ihnen suchen. Also versprach Connor ihnen eine weitere Unterrichtsstunde in einigen Tagen und schickte sie zurück zu ihren Hütten.
„Du kommst auch zum aenach, oder?“, fragte Whelon, seine jungen Augen voller Hoffnung.
„ Tá. Aber ich werde nicht an den Wettkämpfen teilnehmen.“
„Das erwartet auch niemand von dir“, sagte Lorcan und stieß einen weiteren schrillen Kampfschrei aus. Er ging jetzt neben Whelon, völlig zufrieden, auch wenn er sich dem langsameren Schritt seines Freundes anpassen musste.
Als die Jungen fort waren, untersuchte Connor seine rechte Hand. Es war Unvernunft gewesen, zu glauben, er könnte ein Schwert so führen, wie er es immer getan hatte. Die geschwächten Muskeln weigerten sich, ihm zu gehorchen. Er betrachtete die von früheren Kämpfen herrührenden Narben auf seinen Handflächen. Schnitte und Kerben bedeckten beide Seiten. Jede einzelne war eine Erinnerung daran, in kriegerischen Auseinandersetzungen niemals die Aufmerksamkeit zu verlieren. Er schätzte sie mehr als jene Narben, die von normalen Verletzungen zurückblieben. Immerhin hatte er überlebt, während andere von seiner Hand gestorben waren.
Als er durch den Wald ging und sich seinen Weg durch das enge Geflecht von Zweigen bahnte, wanderten seine Gedanken zu den Ó Banníons. Heute würde das Gericht der brehons seinen Fall anhören und ein Urteil fällen.
Séamus Ó Duinne war der Meinung, er solle den Ausgleich akzeptieren und die Sache damit gut sein lassen. Connor zog es vor, Auge um Auge zu kämpfen. Oder in diesem Fall, Hände um Hände. Er beschleunigte seinen Schritt und rannte über das Feld zu Eileens Cottage. Die Anstrengung befriedigte seinen Drang, endlich wieder jeden einzelnen Muskel bis aufs Äußerste anzustrengen.
Als er Eileens Hütte erreichte, sah er sie draußen bei ihren Tieren stehen. In der Kühle der schwindenden Morgendämmerung zeigten sich Wolken von dunkler Farbe am Himmel. Es würde heute noch Regen geben.
Auf dem Gipfel des Hügels blieb er stehen und betrachtete sie. Strähnen ihrer dunklen Haare bewegten sich im Morgenwind, während sie die Tiere fütterte. Sie schüttete einen Eimer Getreide in einen kleinen Futtertrog und führte das Maul seines Pferdes hinein. Ihre Hände glitten über das Fell des Tiers, und der Anblick ließ ihn erstarren. Als wenn sie seine Anwesenheit spüren konnte, wandte sie sich ihm zu.
Eine plötzliche Erkenntnis kam über ihn. Seit zwei Monaten hatte er bei dieser Frau gelebt, und er hatte nicht gesehen, wie atemberaubend sie war. Mit ihrer klaren Haut und den salbeifarbenen Augen, die ihn zu durchschauen schienen, hatte sie etwas unvergleichlich Zartes an sich.
Ihr blaues wollenes Überkleid akzentuierte das cremig-weiße léine darunter, betonte ihre nackten Füße. Als sie auf ihn zukam, schaute sie ihn freundlich an, aber das Lächeln erreichte ihre Augen nicht ganz.
„Was wolltest du mir über Beltane sagen?“, fragte er.
Der Eimer fiel ihr aus der Hand, und das Getreide verteilte sich über die Erde. Ein überraschter Ausdruck trat auf ihr Gesicht, auch fühlte sie Angst in sich aufsteigen, die sie jedoch schnell wieder verbarg. „Du würdest es mir nicht glauben, wenn ich es dir erzählte. Ich denke, manche Dinge sollten besser Teil der Vergangenheit bleiben.“
Ihre hastige Rede und die Art, wie sie seinem Blick auswich, machten ihn misstrauisch. Er beugte sich vor, um den Eimer wieder aufzustellen. Doch seine Finger weigerten sich, sich richtig um den Holzgriff zu legen. Auch wenn er zunächst versuchte, ihn mit seinen Händen zu umfassen, war er schließlich doch gezwungen, das Gefäß mit seinen Unterarmen hochzuheben.
„Etwas bedrückt dich.
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