Die irische Signora
Harry gehen, der wie ein wütender Stier auf sie wartete, damit er sie weiter beschimpfen und sich mit Selbstvorwürfen zerfleischen konnte. Und sie konnte nicht nach draußen gehen, in die reale Welt, das würde sie nie wieder über sich bringen. Nie wieder würde sie jemandem in die Augen sehen können. War es möglich, daß manche Menschen das Unglück anzogen und andere dazu brachten, Fehler zu begehen? Es kam sicher nicht allzu häufig vor, daß jemand sowohl einen Vater als auch einen Ehemann hatte, der sein ganzes Vermögen verlor. Warum hatte sie sich zu einem Mann hingezogen gefühlt, der die gleiche Schwäche besaß wie ihr Vater?
Plötzlich mußte sie an die nette Psychiaterin mit dem offenen Gesicht denken, die ihr all diese Fragen über ihren Vater gestellt hatte. Lag vielleicht doch ein Körnchen Wahrheit darin? Sie hatte das Gefühl, schon eine Ewigkeit so dazustehen, aber die anderen schienen sich nicht bewegt zu haben, also waren vermutlich nur ein paar Sekunden vergangen.
Schließlich sagte Jacko etwas. Er lallte ein bißchen. »Ich hoffe, jetzt bist du zufrieden«, sagte er.
Die anderen schwiegen.
Mit klarer und sicherer Stimme wie sonst auch antwortete Connie: »Nein, Jacko, auch wenn es seltsam klingt, ich war noch nie in meinem ganzen Leben zufrieden.« Ihr Blick schien in weiter Ferne zu verweilen. »Mag sein, daß ich zwanzig Jahre lang genug Geld hatte, um glücklich zu sein. Aber ich war nicht glücklich. Die meiste Zeit war ich einsam und habe den anderen etwas vorgespielt. Trotzdem, das ist für dich kein Trost.«
»Nein, ist es nicht.« Jacko wollte nicht einlenken. Er sah immer noch gut aus. Wie sie von Vera erfahren hatte, war seine Ehe gescheitert und seine Frau hatte den Jungen, den er so sehr liebte, mitgenommen.
Sein Geschäft hatte ihm alles bedeutet. Und jetzt hatte er es verloren. »Du bekommst alles zurück«, sagte sie.
»Ach ja?« Sein Lachen klang eher wie ein Bellen.
»Ja, es ist noch Geld da.«
»Darauf hätte ich gewettet. Ist es auf Jersey oder auf den Cayman-Inseln? Oder läuft es auf den Namen der Ehefrau?« höhnte Jacko.
»Zufälligerweise befindet sich ein beträchtlicher Anteil tatsächlich im Besitz der Ehefrau«, erwiderte sie.
Vera und Kevin starrten sie verblüfft an. Jacko konnte es nicht glauben.
»Ich habe also Glück, weil ich ein alter Freund der Ehefrau bin. Das willst du doch damit sagen?« Er wußte nicht, ob er den Rettungsanker, den sie ihm zuwarf, ergreifen sollte.
»Ich möchte damit eher sagen, daß viele Menschen der Ehefrau einiges zu verdanken haben werden. Wenn Harry morgen früh wieder halbwegs zur Vernunft gekommen ist, gehe ich mit ihm noch vor der Pressekonferenz zur Bank.«
»Es gehört dir. Warum behältst du es nicht?« wollte Jacko wissen.
»Weil ich – entgegen der Meinung, die du vielleicht von mir hast – kein Schuft bin. Vera, kann ich irgendwo anders schlafen, vielleicht auf der Couch im Wohnzimmer?«
Vera geleitete sie hinein und gab ihr eine Decke. »Du bist die stärkste Frau, die ich kenne«, sagte sie.
»Du bist die beste Freundin, die es gibt«, entgegnete Connie.
Wäre es schön gewesen, Vera zu lieben? Jahr für Jahr mit ihr zusammenzuleben, mit einem Blumengarten und vielleicht einem kleinen Handwerksbetrieb als Frucht ihrer Verbundenheit? Bei dieser Vorstellung lächelte sie matt.
»Was bringt dich jetzt nur zum Lächeln?« fragte Vera.
»Erinnere mich daran, daß ich es dir irgendwann einmal erzähle. Du würdest es nicht glauben«, erwiderte Connie, als sie ihre Schuhe abstreifte und sich auf die Couch legte.
Zu ihrem größten Erstaunen konnte sie schlafen und erwachte erst durch das Klirren einer Kaffeetasse. Es war Harry, blaß und mit einer langen, dunkelroten Narbe auf der Wange. Diesen Vorfall von letzter Nacht hatte sie völlig verdrängt.
»Ich habe dir Kaffee gebracht«, sagte er.
»Danke.« Sie machte keine Anstalten, die Tasse zu nehmen.
»Es tut mir so schrecklich leid.«
»Ja.«
»Es tut mir leid. Herrgott, Connie, ich bin gestern nacht einfach durchgedreht. Alles, was ich mir immer gewünscht habe, war, jemand zu sein, und als ich es dann fast geschafft hatte, habe ich alles verpatzt.« Er hatte sich sorgfältig gekleidet und die Haut um die Wunde herum rasiert. Er war bereit für den wahrscheinlich längsten Tag seines Lebens. Sie betrachtete ihn, als sähe sie ihn zum erstenmal. Sie sah ihn mit den Augen all der Menschen, die heute vor den Fernsehgeräten sitzen würden,
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