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Die irische Signora

Die irische Signora

Titel: Die irische Signora Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maeve Binchy
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auszurichten hatte, sie sollten ihren Vergil aufschlagen, meinte in verschwörerischem Ton: »Ich glaube, sie waren gerade am Armdrücken. Beide hatten einen knallroten Kopf, und Mr. Dunne hat geklungen, als würde Mr. O’Brien ihm gleich ein Messer in den Rücken rennen.«
    Alle starrten ihn mit großen Augen an. Declan war nicht sonderlich phantasiebegabt, es mußte etwas daran sein. Also packten sie gehorsam ihren Vergil aus. Nicht, daß sie darin lasen oder ihn übersetzten, das hatte man ihnen ja nicht aufgetragen. Aber vor jedem Kind lag die aufgeschlagene
Aeneis, Buch IV
, während sie ängstlich zur Tür blickten, ob womöglich Mr. Dunne mit einem großen Blutfleck zwischen den Schulterblättern hereinwankte.
    Die Bekanntgabe erfolgte am Nachmittag und bestand aus zwei Teilen.
    Im Rahmen eines Pilotprojekts zur Erwachsenenbildung würden ab September unter der Leitung von Mr. Aidan Dunne Abendkurse angeboten werden. Der derzeitige Direktor, Mr. John Walsh, habe das Pensionsalter erreicht und scheide nun aus dem Amt, sein Nachfolger sei Mr. Anthony O’Brien.
     
    Im Lehrerzimmer konnte Aidan beinahe genauso viele Glückwünsche entgegennehmen wie Tony. Zwei Flaschen Sekt wurden geöffnet, und man prostete sich mit Kaffeetassen zu.
    Endlich klappte es mit den Abendkursen. Der Vorschlag war schon oft eingebracht, aber immer wieder abgeschmettert worden: Die Gegend sei ungeeignet, es gebe zuviel Konkurrenz von anderen Erwachsenenbildungszentren, dann sei da das Problem mit der Beheizung der Räume, der Hausmeister müßte länger als sonst hierbleiben, außerdem könnten sich die Kurse nicht selbst tragen. Wie kam es, daß die Schulbehörde jetzt auf einmal ihr Einverständnis gab?
    »Anscheinend hat Aidan sie überzeugen können«, erklärte Tony O’Brien, während er die Tassen wieder mit Sekt füllte.
    Schließlich war es Zeit zu gehen.
    »Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll«, wandte sich Aidan an seinen neuen Direktor.
    »Wir haben eine Vereinbarung getroffen. Sie haben bekommen, was Sie wollten, und jetzt gehen Sie schnurstracks nach Hause zu Ihrer Frau und Ihren Kindern und erzählen ihnen das auch so. Weil Sie das erreicht haben, was Ihnen wirklich wichtig ist. Es liegt Ihnen nämlich gar nicht, sich von früh bis spät mit allen möglichen Leuten herumzuplagen, was zu den Aufgaben eines Direktors gehört. Halten Sie sich das vor Augen, und machen Sie es auch Ihrer Familie klar.«
    »Darf ich Sie etwas fragen, Tony? Warum legen Sie so großen Wert darauf, wie ich es meiner Familie beibringe?«
    »Ganz einfach. Wie schon gesagt, ich brauche Sie. Aber ich brauche einen glücklichen, erfolgreichen Menschen. Ich möchte nicht, daß Sie in Ihre alte Rolle schlüpfen und in Selbstmitleid zerfließen, weil Sie sich verkannt und übergangen fühlen.«
    »Das klingt einleuchtend.«
    »Und Ihre Familie wird sich mit Ihnen freuen, weil Sie das erreicht haben, was Sie im Grunde immer schon wollten.«
    Als Aidan durch das Schultor ging, blieb er einen Moment stehen, strich über die abblätternde Farbe und betrachtete die rostigen Schlösser. Tony hatte recht, er hätte gar nicht gewußt, wie er ein solches Vorhaben realisieren sollte. Dann schweifte sein Blick zum Nebengebäude, wo nach seinem und Tonys Willen die Abendkurse stattfinden würden. Es hatte einen separaten Eingang, so daß die Leute nicht durch die ganze Schule laufen mußten, verfügte über Toiletten und zwei große Unterrichtsräume. Einfach ideal.
    Wie man es auch drehte und wendete, Tony war einfach ein merkwürdiger Mensch. Aidan hatte ihm sogar angeboten, ihn einmal zu Hause zu besuchen und seine Familie kennenzulernen. Aber Tony hatte gemeint, jetzt noch nicht, lieber im September, wenn das neue Schuljahr begonnen hatte.
    »Wer weiß, was bis September noch alles geschieht.«
    Das waren seine Worte gewesen. Wirklich ein komischer Kauz. Aber für das Mountainview College war das wahrscheinlich die beste Lösung.
     
    Drinnen im Schulhaus sog Tony O’Brien den Rauch seiner Zigarette tief ein. Von jetzt an würde er nur noch in seinem Büro rauchen, nicht mehr außerhalb.
    Er beobachtete, wie Aidan Dunne am Tor stand und es sogar liebevoll tätschelte. Aidan war ein guter Lehrer und ein guter Mensch. Er hatte es verdient, daß man ihm mit diesen Abendkursen entgegenkam – auch wenn das für Tony eine ziemliche Plackerei bedeuten würde, weil er von Pontius zu Pilatus laufen und jedem weismachen mußte, die Kurse würden sich selbst

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