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Die irische Signora

Die irische Signora

Titel: Die irische Signora Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maeve Binchy
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waren sie in fröhlichen Farben gekleidet. Bevor Nora die Stellung in England angetreten hatte, war Dublin eine graue, düstere Stadt gewesen. Doch jetzt waren viele Gebäude blitzsauber, elegante, teure Wagen fuhren dicht an dicht auf den Straßen. Damals waren es vor allem Fahrräder und Wagen aus zweiter und dritter Hand gewesen. Und die Geschäfte wirkten freundlich und einladend. Ihr Blick fiel auf Zeitschriften mit beinahe barbusigen Mädchen auf dem Titelblatt. Bestimmt wären solche Fotos damals der Zensur zum Opfer gefallen.
    Aus irgendeinem Grund ging sie auch hinter der O’Connell-Brücke weiter die Uferstraße entlang, so als wollte sie der Menge folgen. Und schließlich war sie mitten in Temple Bar. Hier sah es aus wie am linken Seine-Ufer in Paris, wo sie vor so vielen Jahren einmal ein langes Wochenende mit Mario verbracht hatte. Kopfsteinpflaster, Straßencafés, gut besetzt mit jungen Leuten, die einander zuwinkten und fröhliche Worte zuriefen.
    Niemand hatte ihr erzählt, daß es in Dublin so aussah. Aber hatte Brenda, verheiratet mit Pillow Case und Geschäftsführerin eines sehr viel gediegeneren Lokals, jemals ihren Fuß in diese Straßen gesetzt?
    Auch ihre Schwestern mit den Ehemännern, die immer knapp bei Kasse waren, ihre beiden Brüder und deren phlegmatische Frauen … nein, das waren nicht die Leute, die Temple Bar erkundeten. Für diese Gegend hatten sie bestimmt nur ein mißbilligendes Kopfschütteln übrig.
    Doch die Signora fand es hier einfach wundervoll. Es war eine völlig neue Welt für sie, und sie konnte sich nicht satt sehen. Schließlich setzte sie sich, um einen Kaffee zu trinken.
    Ein etwa achtzehnjähriges Mädchen mit langen roten Haaren, nicht unähnlich ihrer früheren Mähne, bediente sie. Sie hielt die Signora für eine Ausländerin.
    »Woher kommen Sie?« erkundigte sie sich, dabei sprach sie langsam und betonte jedes Wort.
    »
Italia
«, antwortete die Signora.
    »Ein wunderschönes Land. Allerdings werde ich erst dort hinfahren, wenn ich die Sprache kann.«
    »Und warum?«
    »Nun, ich will verstehen, was die Typen sagen. Ich meine, man weiß ja nicht, worauf man sich einläßt, wenn man kein Wort versteht.«
    »Ich habe kein Italienisch gekonnt, als ich dorthin gegangen bin. Und ich habe ganz bestimmt nicht gewußt, worauf ich mich einlasse«, meinte die Signora. »Doch es ist alles gutgegangen … nein, mehr als gut. Es war wunderschön.«
    »Wie lange waren Sie dort?«
    »Oh, sehr lange. Sechsundzwanzig Jahre«, meinte sie und war selbst erstaunt darüber. Das Mädchen, das noch nicht einmal auf der Welt gewesen war, als sie sich auf dieses Abenteuer eingelassen hatte, schaute sie verwundert an.
    »Wenn Sie so lange geblieben sind, muß es Ihnen wirklich sehr gut gefallen haben.«
    »Oh, ja, in der Tat.«
    »Und seit wann sind Sie wieder hier?«
    »Seit heute.«
    Die Signora seufzte tief. War es nur Einbildung, daß das Mädchen sie jetzt ein bißchen anders ansah? Vielleicht überlegte sie ja, ob diese Fremde alle Tassen im Schrank hatte. Doch diesen Eindruck wollte die Signora unbedingt vermeiden. Sie durfte keine italienischen Redewendungen gebrauchen, nicht seufzen und keine merkwürdigen, ungereimten Dinge erzählen.
    Schon wollte das Mädchen gehen.
    »Entschuldigung«, hielt die Signora sie auf. »Aber das hier scheint ein sehr hübscher Stadtteil von Dublin zu sein. Glauben Sie, daß ich hier ein Zimmer mieten könnte?« Jetzt schien das Mädchen endgültig überzeugt zu sein, daß sie einen Vogel hatte. Vielleicht sagte man nicht mehr Zimmer? Hätte sie Apartment sagen sollen? Wohnung? Unterkunft? »Etwas ganz Einfaches«, ergänzte sie.
    Betrübt mußte sie erfahren, daß Temple Bar der letzte Schrei war. Jeder wollte hier wohnen. Es gab Penthousewohnungen, Popstars hatten Hotels gekauft und Geschäftsleute in Stadthäuser investiert. Überall schossen neue Restaurant wie Pilze aus dem Boden.
    »Verstehe.« Der Signora wurde klar, daß sie über die Stadt, in die sie zurückgekehrt war, eine Menge lernen mußte. »Könnten Sie mir dann vielleicht sagen, wo man gut und nicht zu teuer unterkommen kann, in einer Gegend, die nicht der letzte Schrei ist?«
    Doch das Mädchen schüttelte den Kopf mit der langen roten Mähne. Diskret versuchte sie herauszubekommen, ob die Signora überhaupt Geld hatte, ob sie für ihren Lebensunterhalt arbeiten mußte und für wie lange sie ein Zimmer suchte.
    Die Signora beschloß, ihr reinen Wein einzuschenken. »Ich habe

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