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Die irische Signora

Die irische Signora

Titel: Die irische Signora Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maeve Binchy
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wirklich nicht nötig. Wenn ich mir vielleicht einen Wasserkocher anschaffen dürfte, und eine Kochplatte, um Suppe heiß zu machen? Ansonsten esse ich hauptsächlich Salat.«
    »Sie haben das Zimmer doch noch gar nicht gesehen«, bemerkte die Frau.
    »Würden Sie es mir bitte zeigen?« Der Ton der Signora war freundlich, aber bestimmt.
    Zusammen gingen sie die Treppe hinauf, nur Jerry blieb unten und sah ihnen nach.
    Es war ein kleines Zimmer mit Waschbecken. Ein leerer Schrank und ein leeres Bücherregal, keine Bilder an den Wänden. Nichts erinnerte an die Jahre, die die hübsche, lebenslustige Suzi mit dem langen roten Haar und den blitzenden Augen in diesem Zimmer verbracht hatte.
    Draußen dunkelte es bereits. Das Fenster ging nach hinten hinaus, man blickte über unbebautes Land, auf dem bald weitere Häuser stehen würden. Doch noch hatte man freie Sicht auf die Berge.
    »Es ist herrlich, so einen wundervollen Ausblick zu haben«, sagte die Signora. »Ich habe lange in Italien gelebt. Dort würde man das Haus Vista del Monte nennen, Bergblick.«
    »So heißt die Schule, in die unser Junge geht, Mountainview«, erwiderte der bullige Mann.
    Die Signora lächelte ihn an. »Wenn Sie mich nehmen würden, Mrs. Sullivan, Mr. Sullivan … ich denke, hier habe ich ein hübsches Plätzchen gefunden.«
    Die beiden wechselten einen Blick und schienen sich zu fragen, ob diese Frau wohl noch alle Tassen im Schrank hatte und ob es wirklich klug war, sie bei sich wohnen zu lassen.
    Dann zeigten sie ihr das Bad. Sie würden ein wenig zusammenräumen, sagten sie, und ihr eine Stange für ihr Handtuch frei machen.
     
    Unten saßen sie dann noch beisammen und unterhielten sich. Offensichtlich förderte das gute Benehmen der Signora bei ihnen Sonntagsmanieren zutage. Der Mann räumte das Essen vom Tisch, die Frau drückte die Zigarette aus, der Fernsehapparat wurde ausgeschaltet. Interessiert beobachtete der Junge von der entgegengesetzten Zimmerecke aus das Geschehen.
    Man erzählte ihr, daß ein Paar, das schräg gegenüber wohnte, sich praktisch seinen Lebensunterhalt damit verdiene, das Finanzamt über die Angelegenheiten anderer Leute aufzuklären. Wenn sie hier einziehen wolle, müßte sie deshalb so tun, als ob sie eine Verwandte sei und nicht eine Mieterin, die das Einkommen des Haushaltes aufbesserte.
    »Vielleicht eine Cousine?« Die Signora schien sich mit diesem Gedanken durchaus anfreunden zu können.
    Sie erzählte, daß sie jahrelang in Italien gelebt hatte, und mit Rücksicht auf die vielen Papst- und Herz-Jesu-Bilder an den Wänden fügte sie hinzu, ihr italienischer Gatte sei vor kurzem verstorben. Deshalb sei sie nach Irland zurückgekehrt.
    »Und Sie haben keine Familie hier?«
    »O doch, es gibt ein paar Verwandte. Ich werde sie demnächst einmal besuchen«, antwortete die Signora, deren Mutter, Vater, zwei Schwestern und zwei Brüder in ebendieser Stadt lebten.
    Sie erfuhr, daß die Zeiten schwer seien und Jimmy als Fahrer arbeite, freiberuflich sozusagen; er fuhr Taxi oder Lieferwagen, was sich gerade so ergab. Peggy saß im Supermarkt an der Kasse.
    Und dann kam die Sprache wieder auf das Zimmer im oberen Stock.
    »Hat früher jemand aus der Familie darin gewohnt?« erkundigte sich die Signora höflich.
    Und sie hörte von einer Tochter, die es vorzog, mehr in Stadtnähe zu wohnen. Dann wurde über Geld gesprochen, und sie zeigte ihnen ihre Brieftasche. Ihre Barschaft entsprach fünf Wochenmieten. »Wären Sie mit einer Vorauszahlung für einen Monat einverstanden?« fragte sie.
    Unsicher sahen die Sullivans einander an. Menschen mit so wenig Lebenserfahrung, die wildfremden Menschen ihre Brieftasche zeigten, waren ihnen nicht ganz geheuer.
    »Ist das alles, was Sie haben?«
    »Augenblicklich ja. Aber sobald ich Arbeit gefunden habe, wird es mehr sein.« Der Gedanke an ihre knappen Geldmittel schien die Signora nicht zu beunruhigen. Doch den Sullivans war immer noch nicht recht wohl in ihrer Haut. »Vielleicht warte ich besser draußen, damit Sie es in Ruhe durchsprechen können«, schlug die Signora vor und ging in den Garten, von dem aus sie die fernen Berge sehen konnte, die manche Leute nur Hügel nannten. So zerklüftet, scharfzackig und blau wie ihre Berge in Sizilien waren sie allerdings wirklich nicht.
    In Annunziata würde das Leben seinen gewohnten Gang gehen. Ob sich der eine oder andere wohl fragte, wie es der Signora erging und wo sie heute nacht ihr müdes Haupt zur Ruhe betten

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