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Die irische Signora

Die irische Signora

Titel: Die irische Signora Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maeve Binchy
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er ein froher Mann gewesen. Die Signora lauschte dem seltsam unvertrauten Hundegebell und dem Geplärr der Kinder.
    Bald würde sie einschlummern, und morgen fing ihr neues Leben an.
     
    Mittags machte Brenda im Speisesaal des Quentin’s immer die Runde, das war ihr längst zur Gewohnheit geworden. Eine nahe Kirchenglocke läutete zum Angelusgebet, doch das geschäftige Dublin hielt heutzutage nicht mehr inne und betete, wie man das in Brendas Jugend getan hatte. Wie immer trug sie ein schlichtes farbiges Kleid mit schneeweißem Kragen, ihr Make-up war frisch aufgetragen, und sie begutachtete jeden Tisch. Die Kellner wuß- ten, daß sie besser gleich ordentlich deckten, denn Brenda nahm es ziemlich genau. Der im Ausland lebende Mr. Quentin pflegte stets zu sagen, daß er seinen guten Ruf in Dublin einzig und allein Brenda und Patrick verdanke, und Brenda wollte, daß das so blieb.
    Die meisten Angestellten waren schon eine ganze Weile hier; sie kannten die Eigenheiten ihrer Kollegen und arbeiteten gut zusammen. Im Quentin’s verkehrten viele Stammkunden, die gerne mit Namen angesprochen wurden, und Brenda hatte allen eingeschärft, wie wichtig es war, sich kleine Details aus dem Leben der Gäste zu merken. Haben Sie einen schönen Urlaub verlebt? Schreibt der Herr bereits wieder an einem neuen Buch? Erst neulich habe ich Ihr Foto in der
Irish Times
gesehen, gratuliere, daß Ihr Pferd beim Rennen gewonnen hat.
    Obwohl ihr Gatte Patrick glaubte, die Leute kämen des guten Essens wegen, wußte Brenda es besser: Ihre Kundschaft kam, um willkommen geheißen und umschmeichelt zu werden. Sie hatte genug Jahre damit verbracht, nett zu Leuten zu sein, die klein angefangen und sich dann zu bedeutenden Positionen hochgearbeitet hatten. Sie würden sich stets an den wohltuenden Empfang erinnern, den man ihnen jedesmal im Quentin’s bereitet hatte. Das war der eigentliche Grund für ihren guten Umsatz trotz der schweren Zeiten, in denen die Gürtel angeblich enger geschnallt werden mußten.
    Als Brenda gerade dabei war, ein Blumenarrangement auf einem Fenstertisch zu ordnen, hörte sie, wie die Tür geöffnet wurde. Niemand kam schon um diese Zeit zum Essen. Die Dubliner waren als späte Esser bekannt, und im Quentin’s ließ man sich frühestens um halb eins blicken.
    Zögernd trat die Frau ein. Sie war ungefähr fünfzig, vielleicht auch ein bißchen älter; in ihrem langen grauen Haar, das sie mit einem bunten Schal lose hinten zusammengebunden hatte, schimmerten noch ein paar rote Strähnen. Ihr langer brauner Rock reichte ihr fast bis zu den Knöcheln, und ihre Jacke war altmodisch geschnitten, sie schien aus den siebziger Jahren zu stammen. Doch wirkte sie weder schäbig noch elegant, nur irgendwie fremdartig. Gerade trat sie auf Nell Dunne zu, die wie immer an der Kasse saß, als Brenda erkannte, um wen es sich handelte.
    »Nora O’Donoghue!« rief sie aufgeregt. Die jungen Kellner und Mrs. Dunne an der Kasse beobachteten erstaunt, wie Brenda – die stets untadelige Brenda Brennan! – durch das Restaurant rannte, um diese hier völlig deplaziert wirkende Frau zu umarmen. »Du meine Güte, endlich bist du von dort fort, du hast dich tatsächlich ins Flugzeug gesetzt und bist nach Hause gekommen!«
    »Ja, ich bin wieder da«, erwiderte die Signora.
    Plötzlich verdüsterte sich Brendas Miene. »Es ist doch nicht … ich meine, ist etwa dein Vater gestorben?«
    »Nein, nein. Nicht, daß ich wüßte.«
    »Oh, dann bist du also nicht zu ihnen heimgekehrt?«
    »Nein, keineswegs.«
    »Großartig. Ich wußte, daß du nicht klein beigeben würdest. Aber sag, wie geht’s der großen Liebe deines Lebens?«
    Da wich plötzlich alle Farbe und alles Leben aus dem Gesicht der Signora. »Er ist tot, Brenda. Mario ist gestorben. Er ist bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Nun liegt er auf dem Friedhof von Annunziata.«
    Allein diese Worte auszusprechen schien sie ungeheure Kraft zu kosten, und sie sah aus, als würde sie gleich in Ohnmacht fallen. Nur noch vierzig Minuten, dann war der Laden hier gerammelt voll. Brenda Brennan mußte von der Bildfläche verschwinden, das Aushängeschild des Quentin’s konnte nicht mitten im Restaurant zusammen mit einer Freundin über deren verlorene Liebe weinen. Blitzschnell dachte sie nach. Es gab hier eine Nische, die sie normalerweise für Liebespaare reserviert hielt oder für diskrete Geschäftsessen. Dort würde sie Nora plazieren. Sie führte die Freundin an den Tisch und

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