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Die irische Signora

Die irische Signora

Titel: Die irische Signora Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maeve Binchy
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schlafe ich sicherlich sofort ein.«
    »Aber Sie haben nicht einmal einen Wasserkocher, um sich einen Tee zu machen.«
    »Danke, aber mir fehlt wirklich nichts.«
    Peggy ließ sie allein und ging nach unten, wo Jimmy eine Sportsendung im Fernsehen verfolgte. »Mach ein bißchen leiser, Jimmy. Die Frau ist müde, sie war den ganzen Tag auf den Beinen.«
    »Allmächtiger, geht es jetzt etwa wieder so los wie damals, als die Kinder klein waren, immer ›pssst‹ und ›sei leise‹?«
    »Nein, aber du bist doch genauso scharf auf das Geld wie ich.«
    »Sie hat sie jedenfalls nicht alle. Hast du irgendwas aus ihr rausgekriegt?«
    »Tja, sie hat gesagt, sie wäre verheiratet gewesen, und ihr Mann wäre bei einem Unfall ums Leben gekommen.«
    »Anscheinend glaubst du ihr nicht?«
    »Na ja, sie hat kein Bild von ihm. Und sie sieht nicht aus, als ob sie verheiratet gewesen wäre. Dann hat sie dieses Ding auf dem Bett, eine Steppdecke wie ein Priesterornat. Zu so was hat man einfach keine Zeit, wenn man verheiratet ist.«
    »Du liest zu viele Bücher und siehst zu viele Filme. Das ist das ganze Problem.«
    »Jedenfalls spinnt sie ein bißchen, Jimmy, das steht fest.«
    »Aber sie wird uns doch wohl kaum nachts im Bett ermorden, oder?«
    »Nein, das nicht. Aber vielleicht war sie mal eine Nonne, sie hat so was Stilles, in sich Gekehrtes. Ja, schätze, damit liege ich richtig. Oder vielleicht ist sie ja noch immer eine. Heutzutage weiß man ja nie.«
    »Könnte sein.« Jimmy wurde nachdenklich. »Falls sie wirklich eine Nonne ist, erzähl ihr lieber nichts von Suzi. Denn wenn sie erfährt, wie sich die Göre aufführt, die wir aufgezogen haben, zieht sie hier vielleicht blitzschnell wieder aus.«
     
    Die Signora stand am Fenster und schaute zu den Bergen.
    Konnte das hier jemals ihr Heim werden?
    Und würde sie weich werden, wenn sie ihre hilflosen und gebrechlichen Eltern sah? Würde sie ihnen die Kränkungen und ihre Kaltherzigkeit verzeihen, die Gleichgültigkeit, nachdem sie gemerkt hatten, daß sie nicht folgsam nach Hause eilen würde, um ihre Tochterpflichten zu erfüllen?
    Wollte sie tatsächlich in diesem kleinen schäbigen Haus leben, wo lärmende Menschen mit den Türen knallten, der Junge schmollte, die Tochter verbittert war? Doch irgendwie wußte die Signora, daß sie dieser Familie Sullivan, die sie heute zum erstenmal in ihrem Leben gesehen hatte, mit Freundlichkeit begegnen würde.
    Sie würde versuchen, eine Aussöhnung zwischen Suzi und ihrem Vater herbeizuführen. Sie würde einen Weg finden, den schmollenden Jungen für die Schule zu interessieren. Und sie würde die Gardinen säumen, die zerschlissenen Kissen im Wohnzimmer flicken und die Handtücher im Badezimmer einfassen. Aber sie würde nichts überstürzen. Die Jahre in Annunziata hatten sie Geduld gelehrt.
    Und deshalb würde sie auch nicht gleich morgen zu ihrer Mutter gehen oder in das Pflegeheim, wo ihr Vater untergebracht war.
    Allerdings konnte sie Brenda und Pillow Case besuchen – sie durfte nur nicht vergessen, ihn Patrick zu nennen. Die beiden würden sich freuen, sie zu sehen, und beruhigt sein, weil sie bereits eine Unterkunft gefunden hatte und sich auf Arbeitssuche befand. Vielleicht gab es ja sogar in ihrem Restaurant eine Stellung für sie? Sie konnte abwaschen und in der Küche das Gemüse putzen, wie der Küchenjunge, der Marios Tochter geheiratet hatte.
    Die Signora zog sich aus und wusch sich. Dann streifte sie das weiße Nachthemd über, dessen Ausschnitt sie mit kleinen Rosenknospen bestickt hatte. Mario hatte es sehr gemocht; sie erinnerte sich, wie er die Rosenknospen gestreichelt hatte, ehe er dann ihren Körper liebkoste.
    Mario, der jetzt auf einem Friedhof hoch über dem Tal und mit Blick über die Berge ruhte. Er hatte die Signora letztlich doch sehr gut gekannt, er hatte gewußt, daß sie seinen posthumen Rat befolgen würde, auch wenn sie zu seinen Lebzeiten so eigensinnig gewesen war. Alles in allem war er wahrscheinlich froh gewesen, daß sie damals zu ihm gekommen und geblieben war, daß sie sechsundzwanzig Jahre in seinem Dorf gelebt hatte. Und er hätte sich gefreut, wenn er gewußt hätte, daß sie nach seinem Tod wieder fortgegangen war, so wie er es gewollt hatte, damit seiner Witwe Würde und Achtung zuteil wurden.
    Sie hatte ihn so oft glücklich gemacht, unter dieser Decke und in ebendiesem Nachthemd. Wenn sie seinen Sorgen gelauscht, ihm über den Kopf gestreichelt und kluge Vorschläge gemacht hatte, war

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