Die irische Signora
bestellte einen großen Brandy und ein Glas Eiswasser. Eins von beiden würde bestimmt helfen.
Mit geübtem Auge änderte sie rasch die Tischbelegung und bat Nell Dunne, die neue Fassung zu kopieren.
Nell wirkte ein bißchen zu neugierig. »Gibt es sonst etwas, was wir tun können, um die, äh … Lage zu entspannen, Ms. Brennan?«
»Nein danke, Nell. Kopieren Sie nur den neuen Reservierungsplan, verteilen Sie ihn an die Kellner, und sorgen Sie auch dafür, daß die Küche ein Exemplar bekommt. Das ist alles, danke.« Ihr schroffer Ton war schon beinahe unhöflich. Manchmal brachte Nell Dunne sie zur Weißglut, obwohl sie nicht sagen konnte, warum.
Und dann setzte sich Brenda Brennan – die sowohl bei ihren Angestellten wie auch bei ihren Gästen die
eiskalte Lady
hieß – in die Nische und weinte zusammen mit ihrer Freundin über den Tod von Mario, dessen Ehefrau zu Nora gekommen war und sie gebeten hatte, nach Hause zurückzukehren.
Es war ein Alptraum und dennoch eine Liebesgeschichte. Ein paar Minuten überlegte Brenda wehmütig, wie es wohl war, so zu lieben, so hemmungslos und ohne jede Rücksicht auf Konsequenzen, ohne Aussicht auf eine gemeinsame Zukunft.
Die Gäste würden von der Signora in ihrer Nische nicht mehr mitbekommen als vom Minister und seiner Freundin, die oft hier speisten, oder von den Headhunters, die hier bei einem gemeinsamen Mittagessen Führungskräfte anderer Firmen abzuwerben versuchten. In dieser Nische konnte Brenda sie guten Gewissens allein lassen.
Also trocknete sie sich die Augen, puderte ihre Nase, zupfte den Kragen zurecht und machte sich an ihre Arbeit. Die Signora spähte immer wieder um die Ecke und sah erstaunt zu, wie ihre Freundin Brenda reiche, selbstbewußte Leute zu Tischen führte, sich nach deren Familien erkundigte, nach dem Gang der Geschäfte … Und die Preise auf der Speisekarte! Davon hätte eine Familie in Annunziata eine ganze Woche lang leben können. Woher hatten diese Leute nur soviel Geld?
»Der Küchenchef empfiehlt heute einen ganz frischen Glattbutt, und auch die Pilzpfanne ist vorzüglich … aber lassen Sie sich ruhig Zeit, Charles wird Ihre Bestellung aufnehmen, wenn Sie soweit sind.«
Wo hatte Brenda gelernt, so zu sprechen, Pillow Case beinahe ehrfürchtig Küchenchef zu nennen, sich so gerade zu halten, so selbstbewußt aufzutreten? Während die Signora ihr Leben lang bestrebt gewesen war, Rücksicht zu nehmen und sich anzupassen, hatten andere etwas aus sich gemacht, sich durchgesetzt. Und das würde sie nun auch lernen müssen, wenn sie überleben wollte.
Die Signora putzte sich die Nase und straffte die Schultern. Anstatt sich weiterhin über den Tisch zu kauern und verängstigt auf die Karte zu starren, bestellte sie einen Tomatensalat und Rindfleisch. Sie hatte schon so lange kein Fleisch mehr gegessen, das hatten ihre Finanzen nicht erlaubt. Angesichts der Preise auf der Karte wurde ihr schwindelig, aber Brenda hatte darauf bestanden, daß sie sich aussuchen sollte, was sie wolle, es sei ihr Willkommensessen. Ohne daß sie darum gebeten hatte, stand plötzlich auch eine Flasche Chianti auf dem Tisch. Die Signora widerstand der Versuchung, auf der Weinkarte nach dem Preis zu schauen. Es war ein Geschenk, und sie würde es als solches annehmen.
Kaum hatte sie zu essen begonnen, merkte sie, wie hungrig sie war. Schon im Flugzeug hatte sie kaum etwas zu sich genommen, da war sie zu aufgeregt gewesen. Und gestern abend, im Haus der Sullivans, hatte sie ebenfalls nichts gegessen. Der Tomatensalat war köstlich und mit frischem Basilikum bestreut. Seit wann war so etwas in Irland üblich? Das Fleisch wurde englisch gebraten serviert, und das Gemüse war knackig und zart, nicht im Wasserbad weich gekocht, wie sie es früher gekannt hatte, bevor sie in Italien lernte, es behutsam zu garen.
Als sie den Teller leer gegessen hatte, fühlte sie sich den neuen Herausforderungen besser gewachsen.
»Es ist schon in Ordnung, ich werde nicht wieder weinen«, sagte sie zu Brenda, die sich ihr gegenüber gesetzt hatte, nachdem die anderen Gäste gegangen waren.
»Kehr nicht zurück zu deiner Mutter, Nora. Ich möchte mich wirklich nicht in private Angelegenheiten einmischen oder Familien auseinanderbringen, aber sie war nie für dich da, als du sie gebraucht hättest. Warum solltest du jetzt für sie dasein?«
»Nein, ich fühle mich ihr gegenüber zu gar nichts verpflichtet.«
»Gott sei Dank«, meinte Brenda erleichtert.
»Aber ich
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