Die irre Heldentour des Billy Lynn
als Destiny’sChild mit ihrem Divengestöckel die Bühne hochstolzieren. Die Bühnentänzer verfallen in Fickbewegungen wie in den obszönsten MTV-Videos, sobald Beyoncé und ihre beiden Mädchen die Mikros an den Mund führen.
You say you gonna take me there
trällern sie katzenhaft schmollend,
Say you know what I need
Show devotion to the notion of our mutual creed
Die Drillspieße exerzieren, fuchteln mit ihren Springfields herum, Close-Order-Drill in der Rockstarversion. Tscheck, tscheck, tscheck , der Handschlag am Schaft klingt nach Materialdichte, also Holz, ein geübter Hörer könnte den Drillfiguren auch nur anhand des Klangs folgen. Von hier am Rand aus hat Billy kaum Blick, er sieht die Gewehre nur aus dem Augenwinkel herumflitzen wie Spielkarten beim Mischen und Stapeln.
You think it all in the moves
Like some robot lover do?
That ain’t the way you get
A grown woman into her groove
Beyoncé lässt eine Hand an der Schenkelinnenseite hinuntergleiten und zieht sie wieder hoch bis kurz vor die Möse, legt sie aber nicht über die heikle Stelle; dadurch bleibt der Griff in den Schritt quasi jugendfrei, also geeignet fürs Familienprogramm. Die Mädchen mit den Flatterbändern hoppeln wieder vorbei, auf bleichen dünnen Beinen wie Pogosticks. Die Strobolichter sind eine Strapaze für Billys Kopf. Er zieht die Augen zu Schlitzenzusammen, und alles verschwimmt, wird zu einem einzigen Rattenbissfiebertraum aus Soldaten, Marschkapellen, orkanartig rempelnden und aneinanderreibenden Körpern, Feuerwerksgewummer und multiplen Trommelabteilungen, die pausenlos go, team, go rattern. Destiny’s Child! Drillspieße! Sexytime und Spielzeugsoldaten, alles aufreizend vermantscht in ein und demselben Riesendampftopf. Die Bravos haben sich Dutzende Male Cracks Conan-DVDs angeguckt, sie kennen jeden Dialog auswendig, und aus den Strömen und Kreiseln in Billys übersteuertem Hirn blitzt plötzlich die Szene mit der Palastorgie auf, wo James Earl Jones als Schlangenkönig auf seinem Thron sitzt und seine zugedröhnten Anbeter sich auf dem Boden wälzen, schlürfend und leckend und bumsend und mit selig-glasigen Augen. Das alles ist ihm unheimlich, die Überblendung der realen Szenerie vor seinen Augen mit dieser schlüpfrigen Sexszene, der totale Irrsinn dieser Halbzeitshow und der Umstand, dass anscheinend sonst kein Mensch Probleme damit hat. Die Ränge sind rappelvoll, die Fans sind auf den Beinen, alle jubeln, scheinen über alles heute glücklich zu sein. Schön, seid glücklich, ist Billys Einstellung. Sollen sie doch jubeln und gröhlen und kreischen, so viel sie wollen, die ganze Show hier ist trotzdem bloß Füllstoff, Spachtelmasse, sie ist nichts und hat nichts zu tun mit Billy oder der Rückkehr in den Krieg.
I ain’t scared, I’m comin’ through,
I ain’t scared, I ain’t scared,
Big man can’t you handle this good thing I’m offerin’ you?
Auf den Rängen direkt hinter der Bühne wird eine riesige amerikanische Fahne sichtbar, der uralte Spezialeffekt mit den Pappschildern, die jeden Einzelnen in der Masse der zwanzigtausendFans zum Pixel macht. Dann fliegen die Pappen herum, und die Fahne weht im Wind, sieht auf den zweiten Blick allerdings aus, als hätte sie jemand massiv gequetscht und die Streifen und Sterne zerknittert und zerschrammt. Eine Weile probiert Billy Blicktricks, zwinkert sich die Perspektive kürzer und länger, aber dann zuckt es in seinem Innenohr, der Boden scheint zu kippen, es ruckt, und er steht plötzlich ganz woanders. Vielleicht sieht er das alles falsch, fällt ihm ein. Vielleicht ist die Halbzeitshow so wirklich wie nur was; und wenn darin nun irgendeine Kraft, irgendeine potente Energie steckt? Wenn das gar keine Show ist, sondern ein Mittel zu irgendeinem Zweck, den sie propagiert oder beschwört. Eine Zeremonie. Etwas Religiöses, jedenfalls wenn »religiös« auch so grausame Prinzipien wie Chaos, Chancen, außer Kontrolle geratene Natur umfasst. Er spürt den Sog einer Wirklichkeit, die alles verdrängt, die selbst die erfahrungsgesättigten Wahrheiten eines kleinen gemeinen Soldaten überrollt – das Blut an den Händen, das Brennen in der Lunge, den Gestank der eigenen ungewaschenen Füße. Allein bei dem Gedanken fängt es in Billys Schädel an zu hämmern, nicht sein Kopfschmerz, ein viel heftigerer pochender Schall tief im unteren Stammhirn. Und ein ganz klarer Gedanke taucht auf: Da lebt das. Der Gott im Kopf, überhaupt alle Götter – ist es
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