Die irre Heldentour des Billy Lynn
faschistischer Kapellmeister seine Symmetriemeise füttern muss. Holliday, Crack, Billy und Lodis als Viererkette an der Seitenlinie der Heimmannschaft. Hinten und seitlich zieht gerade die Prairie Masters View A & M Marschkapelle auf. Könnte die Aufstellung für einen Nachtangriff sein, dasselbe Gerassel von Ausrüstung und Kleidung, das gedämpfte Getrampel von Stiefeln auf Rasen. Irgendwo tritt ein einsamer Trommler mit seinen Stöcken auf der Stelle, links, rechts, links, rechts, tick, tick, tick.
»Load, hol’n paar Mal tief Luft. Das räumt dir den Kopf auf.«
Scgggggck. Scgggggck.
»Kratzt der grad ab?«, fragt Crack.
» Kahl! «
»Ja, verdammt, es ist kalt. Schluck’s runter, du Arsch.« Ein Grad über null, hatte eine unsichtbare Stimme im Tunnel gemeldet, und beim Einlauf aufs Feld waren sie von einem beißenden kristallinen Geniesel empfangen worden, gefrorene Mikrotröpfchen wie Polarmückenschwärme. Flaggenmädchen standen trotz der Kälte tapfer Spalier, mit verkniffenen Gesichtern, bleich, die nackten Beine gänsehäutig und rissig, die Köpfe glitzernd vom kondensierten Dunst. Lämmer vor der Schlachtbank, hatte Billy gedacht, als ob sie sich wahrhaftig zum Gefecht aufgestellt hätten, und weiter hinten ein schweigendes Spalier aus Highschoolbands, reihenweise Babygesichter mit rosa Bäckchen, ganz still, ganz konzentriert unter ihren Käppchen, tiefernst fixiert auf das, was sie gleich tun sollten. Billy hatte diese Kinder beneidet um ihre jugendliche Aufrichtigkeit, ihr geordnetes Schülerleben mit Sportabzeichen und Sonnabends-ausschlafen-Dürfen. Sie sahenso aufgeweckt aus! Er hatte eine unglaubliche Zärtlichkeit für sie empfunden. Sie hatten ihn nostalgisch gemacht. Ihnen gegenüber war er sich so verdammt alt vorgekommen.
Jetzt legt im Mittelfeld die Prairie-View-Trommlerabteilung los, angeführt von einem baumlangen schwarzen Hexenmeister, es ist ein fürs Tambourmajorhochamt aufgetakelter Tambourmajor mit Pelerine, Gamaschen, Goldlitzen und -epauletten und einer auf dem Kopf festgeschnallten trichterartigen Tschakowolke. Die zweite Team-Bravo-Hälfte ist irgendwo links, und zwischen beiden steht das United States Army Drill Team aus Fort Myer, Maryland, zwanzig Drillspieße in tadelloser Paradeuniform, sämtlich imstande, ihre Springfields mit aufgepflanztem Bajonett vorschnellen, wirbeln, kreiseln zu lassen, mit ihnen Radschlagen um die Taille und Achterbahnschleifen um die Schultern zu veranstalten und sie in einem gewagten Fourman-Diamond-Wurf durch die Luft segeln zu lassen, sie würden auf Befehl vermutlich auch einen Moonwalk hinlegen. Hinter dieser Frontformation aus Bravos und Drillspießen ist ein Korps Reserveoffiziersausbilder postiert, stampfend und schnaufend wie Wasserbüffel.
» Hiiaaah, huuuu, hriiii, horrrr «, bellt der Tambourhexer, und sofort bricht ein schmissiger Trommelwirbel los, tatta-tottta tatta-totta drrrrp drrrrp buudlie-buh , ein massiver Übergriff auf den Aufruhr des heimgesuchten menschlichen Herzens. Dann die Trompeten. Die Blechbläser sind der reinste Gefängnisausbruch, die Hörner setzen einen swingenden martialischen Kontrapunkt, als von der Seite drei schlanke Frauen dazutreten und sich mittig vor der Drillabteilung postieren. Sie sind es. Billy gerät ein kleines bisschen außer sich. Die Frauen stehen mit dem Rücken zu den Bravos, aber auch oder vielleicht gerade von hinten gesehen gibt es keinen Zweifel, Destiny’s Child sind eingetroffen, die derzeit unbestrittenen Weltmeisterinnen des Mass-Market Pop, Rubrik Colored Girls. Beyoncé hat die Starposition im Zentrum,Michelle und Kelly – welche ist eigentlich welche? – dekantieren sich flankierend quasi selbst. Alle drei tragen enge bauchfreie Hosen, Stilettos, kurze sexy Tops und lange Spitzenhandschuhe, ihre Haltung verrät eine wahnsinnige körperliche Disziplin, je eine Hüfte hochgerissen, in einer Achse mit Rumpf und Bein, Rücken straff und geschmeidig wie ein gespannter Bogen. In dieser Pose frieren sie ein. Die Musik hört abrupt auf. Kameramänner wuseln wie Krabben um sie herum, das hier ist Livefernsehen, und dann nehmen die Mädchen die Mikros an die Lippen und schmachten kuschelig wie eine für die Nacht aufgeschlagene Bettdecke a capella
schmiegsam, als wollten sie die Nationalhymne wiederaufnehmen, der leiseste Schubs, und es könnte dahinkippen, aber nein, ihre Stimmen blühen auf, werden sanfter, süßer, ein ohrentätschelnder kandierter Rosenblütenregen
Auf
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