Die irre Heldentour des Billy Lynn
der gegenüberliegenden Seitenlinie ist eine Bühne gezimmert worden, ein glitzerndes dreistufiges Gebilde mit einem Kulissenpuzzle aus quietschbunten Platten, die anscheinend unbedingt aussehen wollen wie modernistische Buntglasfenster. Eine Tanztruppe verteilt sich über die Stufen zum Standbild, Männer in glänzenden weißen Trainingsanzügen mit Jumboklunkern, Frauen in knallengen langen oder abgeschnittenen Hosen und raffiniert geknoteten Cowboys-Trikots, zerrissen, bauchfrei, ärmellos, keins wie das andere. Rechts, dicht neben Billy, scheint sich Lodis gerade am eigenen Rotz zu verschlucken. Destiny’s Child sind wieder beim Refrain take me there , dann toben die Trommeln los, und das ist das Zeichen, die ganze Formation tritt ab. Die Kameramänner legen den Rückwärtsgang ein und hoffen auf das Beste. Rechts und links der Tête scheppert die Trommlerabteilung und schlägt eine Bresche zur Bühne. Erst später, als er sie auf YouTube sieht, begreift Billy die ganze unglaubliche Dimension dieser Show, mindestens fünf Marschkapellen, die auf dem Spielfeld ihre Kreise ziehen, die wüste Sexshow-Choreografie, die auf der Bühne abläuft, Flaggenmädchen und Exerziertrupps von einer Endzone zur anderen, Reserveoffiziere, Bravos, Drillspieße, Destiny’s Child. Eine monumentalfilmtypische Massenstatisterie. Später wird jemand sagen, die Produktion sei ein Broadway-Musical wert, und Billy, der noch nie den Fuß nach New York, geschweige denn in irgendein Musical gesetzt hat, wird das irgendwie richtig finden, jetzt dagegen, während die Show läuft, will er einfach nur durchhalten. Ein Tambourstabschwinger hüpft vorbei wie ein bauschiger Haut-und-Chrom-Schleier. Highschooldrillteams in Ganzkörpertrikots vollführen eine Art Schub-Schub-Arschrempel-Nummer, anscheinend üben die schon mal für Stripperjobs. Trommlerabteilungen marschieren neben der Soldatenkolonne mit, Flaggenmädchen hasten im Zickzack vorwärts wie Überfallkommandos, und durch alles hindurchpowern sich Destiny’s Child, Brust raus, Hüften im Anschlag, ein stöckelnd-stolzierndes Tänzeln, das von Billys Position aus irgendwie unmöglich aussieht, so als würden sie von einer mystischen Kombination aus Divatum und fitnessgestählten Hüften aufrecht gehalten, normale Sterbliche hätten sich längst auf den Arsch gesetzt. Weiter vorn ist die Bühne jetzt gerahmt von Tänzertrupps, die Jungs in Schlabberhemd und -hose, Basecap falsch rum, die Mädchen im silbernen Sport-BH und königsblauer Strumpfhose. Allein das ist schon mehr, als ein Hirn aufnehmen kann, aber dann geht auch noch eine Disco-Lightshow los, blaue und weiße Strobobündel zwischen den Bühnenstufen, noch mehr Strobos als Garnitur für das Stahlrohrgerüst, überall gleichzeitig Geblitze, ein spastisch-elektrovisueller Puls, epileptische Übersteuerung, Netzhautvernarbung, Frontallappen zerfetzt zu Raupenhärchen –.
Das ist dein Hirn auf Meth! Lodis fährt zusammen, ihm sackt ständig der geschundene Kopf zur Seite, dann gehen regelrechte Explosionen los, jetzt fahren alle zusammen, bumm bumm bumm bumm , irgendwo hinter der Bühne zischen Leuchtraketen hoch, Rauchkerzen explodieren mit heiserem Prasseln, als ob Streubomben über einem Weizenfeld niedergehen. Ein Heulen von ganz weit unten kommt aus Lodis’ Kehle. »Alles cool«, murmelt Billy, »alles cool, alles cool, das ist bloß Feuerwerk .« Lodis fängt an zu lachen, japst nach Luft. Auf Billys anderer Seite steht Crack im kalten Schweiß, grimmig. Einen besseren Auslöser für PTSD zur Hauptsendezeit hätte man sich kaum einfallen lassen können, aber zum Glück für Norm, für das Publikum, für Amerika und die gut vierzig Millionen Fernsehzuschauer, stecken die Bravos das alles weg, aber klar! Die Pupillen sind geweitet, Puls und Blutdruck gehen durch die Decke, die Glieder flattern im Stress-Reflex-Cortisol-Rausch, aber es ist alles cool, alles gut, kein Dünnschiss da unten, kein Vietnam-Veteranen-Koller im Team Bravo!Diese Jungs kann man mitten in eine Sound-und-Lightshow Hölle in Marsch setzen, das stecken sie weg, aber verdammt noch mal, wie grob ist das denn, sie in so was reinzuschicken.
Die Formation bewegt sich im Fünfachtelschritt zum Rhythmus, boody-Boom boody-Boom boody-bood-bood- BOOM , Snare Drums machen jeden verdammt stolz, Soldat zu sein. Das ist hier kein Witz, stellt Billy fest. Die haben hier so viel Geld ausgegeben und sich so sehr ins Zeug gelegt für diese Halbzeit, die können das gar
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