Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die irre Heldentour des Billy Lynn

Die irre Heldentour des Billy Lynn

Titel: Die irre Heldentour des Billy Lynn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ben Fountain
Vom Netzwerk:
liegen. Als Josh gerade mal nicht in sein Walkie-Talkie schnattert, winkt ihn Billy zu sich. Josh, immer auf der Hut, geht vor ihm in die Hocke. »Tabletten«, sagt Billy, »wollten Sie mir doch besorgen – «.
    »Oh, Mist «, deklamiert Josh im dramatischen Flüsterton, dann: »Sorry«, in normaler Tonlage, »sorry sorry sorry, besorg ich Ihnen, ganz bestimmt.«
    »Danke.«
    »Immer noch’n Affen, Alter?«, fragt Mango. Billy schüttelt nur den Kopf. Eine Nacht, acht Männer und vier Stripclubs, ohne Sinn und Zweck, mal abgesehen vom kostenpflichtigen Blowjob am Ende, und allein beim Gedanken daran möchte sich Billy am liebsten erschießen. Das war wie ein Termin beim Zahnarzt, stumpfe Gewalt nach Rohrlegerart, der auf- und abhopsende Kopf von diesem Mädchen in seinem Schoß, die Erinnerung daran. Schlechtes Karma, garantiert. Er hat sein Karmakonto überzogen, den laufenden Zähler für Gut und Böse, von dem ihm Shroom erzählt hatte, er sei ein Symbol für den großen kosmischen Tilt kurz vor dem endgültigen Urteil, genauer gesagt, dessen mentale Kristallisation. Billy sucht das Spielfeld ab, der Punter ist weg. Sein Blick schweift über die oberen Stadionränge, wo die Punts ihrenHöhepunkt erreicht hatten, aber da ist nur Luft zu sehen, und er braucht unbedingt die Markierungspunkte der Kurven, um den Draht zu dem auf der anderen Seite schwebenden Shroom wiederzukriegen.
    Shroom, Shroom, The Mighty Shroom of Doom, der seinen eigenen Tod auf dem Schlachtfeld geweissagt hatte. Wenn ihr Einsatz im Irak vorbei ist und er aus dem Dienst entlassen wird, wollte er nach Peru auf einen Ayahuasca-Trek, »die Große Echse besuchen«, wie er es nannte, »falls mich da die Hatschis nicht vorher hinschicken.« Falls. Tja, eben. Shroom hatte es gewusst an jenem Tag. Was sollte sein letzter Händedruck denn sonst bedeuten? Diese Drehung in dem Moment, als die Scheiße losging und Mango die Fünfzig-Kaliber-Bordkanone losrattern ließ, genau da hatte Shroom nach hinten gelangt, Billys Hand gepackt und in den ganzen Krach hineingeschrien: »Is mein Ende«, aber Billy hatte verstanden: »Nimmt kein Ende«, sein Gehör hatte sich den grausigen Satz so zurechtgeschliffen, dass er vernünftig klang. Später hatten seine Gedanken immer wieder um diesen einen Moment gekreist und ihn richtig begriffen, den Satz und Shrooms Blick, der von sehr weit herkam, so als sähe er vom Grund eines Brunnens zu Billy hoch.
    Wenn er länger als ein paar Sekunden darüber nachdenkt, geht Synthesizerbrummen in seinem Kopf los, ein bombastischer Orgelschwall, nicht das Geblöke von kränkelnden Kälbern wie die Musik bei Shrooms Beerdigung, sondern gewaltige Akkorde, die sich donnernd zusammenbrauen, eine Flutwelle, die untergründig grummelnd und unsichtbar in den Tiefen des Ozeans heranrollt. Gespenstisch wie nur was, und trotzdem kämpft er nicht dagegen an; vielleicht ist dieser Wahnsinnslärm ja das heftige Kopfschütteln Gottes oder eine Art subtil verschlüsselte elementare Wahrheit oder vielleicht beides, vielleicht ist überhaupt beides dasselbe, aber krieg das mal in deinen Scheißfilm. WarenSie eng befreundet?, hatte der Reporter vom Ardmore Daily Star gefragt. »Ja«, hatte Billy gesagt, »das waren wir.« Denken Sie oft an ihn? »Ja, sehr oft.« Also, jeden Tag. Jede Stunde. Nein, alle paar Minuten. Eigentlich alle zehn Sekunden. Nein, noch anders, das ist wie ein Abdruck auf seiner Netzhaut, Shroom, hellwach und lebendig, dann plötzlich tot, lebendig, tot, sein Gesicht flitzt pausenlos vor und zurück. Billy hatte auf dem Bauch gelegen und gesehen, wie die Araber Shroom ins hohe Gras zerren, und gedacht: Ach du Scheiße. Vielleicht auch nur: Scheiße. Weiter hatte sein Reflexionsvermögen nicht gereicht, während er sich hochgerappelt hatte und losgerannt war. Am unheimlichsten ist allerdings, dass er noch immer dieselbe Ahnung hat wie beim Hochrappeln, so ein Gefühl, genau zu wissen, wie das alles enden würde, das Bild war ihm intensiv ins Hirn gedrungen und hatte dort eine Art Bewusstseinsverdoppelung ausgelöst, bis heute. Seine Erinnerung an das Gefecht selbst ist mehr ein trüber feuerroter Schleier, an die Vorboten dagegen glasklar und scharf. Er wüsste gern, ob Soldaten, wenn sie derart radikale Dinge tun, immer so einen kurzen Seitenblick auf eine ganz konkrete Zukunft bekommen, so ein teleskopisches Piercing von Zeit und Raum, das ihre Motivation aufrechterhält, das zu tun, was sie tun. Die, die noch leben, vielleicht.

Weitere Kostenlose Bücher