Die irre Heldentour des Billy Lynn
wenn man es ganz korrekt sehen will.« In der Tat, es ist eine Fressorgie in Postkartenperfektion, ein bestimmt achtzehn Meter langes Festtagsbuffet aus Hausmannskost und Nouvelle Cuisine, auf Hochglanz poliert wie Reklamefotos in illustrierten Sonntagsbeilagen. Billy angelt sich einen sauberen Teller vom Stapel und glaubt, dass ihm gleich schlecht wird. Das hier ist einfach zu viel für seinen Kater, diese Gebirge, Hochplateaus, Bergmassive, Hügel und Schichten aus essbarer Materie, das alles sieht aus wie der Aushub eines komplexen Schützengrabensystems, die ganze zur Schau gestellte Dinglichkeit, die schiere molekulare Dichte hauen ihn fast aus den Schuhen. Einen Moment lang steht er schwankend davor – geht der jetzt ab oder nicht? –, dann meldet sein Magen den Urtrieb und grummelt.
»Haut euch voll, Leute«, sagt Dime. »Und dann unterhaltenwir uns mal darüber, wie der kleine Mann so lebt.« Es riecht deutlich nach Establishment, nämlich Bratensauce und Möbelpolitur, das hier ist die Spieltagsstammkneipe für die Country-Club-Clique. Es kostet zehn Dollar, um überhaupt reinzudürfen, und noch mal vierzig plus Steuer und Trinkgeld für das Essen – Helden sind aber eingeladen, sagt Josh, was die Bravos mit na logo beantworten –, dabei ist dieser »Club« nicht mal was Besonderes, bloß ein niedriger Riesenraum mit einer Bar an einer Seite und einer Fensterfront zum Spielfeld. Die Beleuchtung ist nervenzerrend, eine Palette aus harten und weichen Tönen, das ranzig-butterige Niesellicht aus den Deckenlampen wird zersägt von silbernen Blendstrahlen aus den Riesenfenstern, die visuellen Tönungen und Tiefen liegen dermaßen im Dauerclinch, dass selbst die Augen der Stammgäste sich nicht daran gewöhnen. Der Teppichboden ist schlammkohlegrau, das Mobiliar ein abgewetzter, auf alter Adel getrimmter Stilmix aus burgunderrotem Vinyl und ochsenblutrotem Furnier, eine Reminiszenz an die Holiday Inns der 1970er Jahre. Hier wurden sichtbar alle Kosten auf das absolute Minimum reduziert, das einen Haufen gieriger Schnäppchenjäger von offener Rebellion abhält.
Billy merkt, wie beschissen er sich hier fühlt, die Depression sackt ihm rasant in die Gedärme, aber er hält es für eine simple allergische Reaktion auf reiche Leute. Er hatte sich sofort verkrampft, als er den Raum betreten und den Reichtum gerochen hatte. Er hätte gern den Rückzug angetreten. Er hätte gern jemanden verprügelt. Reiche Leute machen ihn nervös, ohne besonderen Grund, einfach so, gleich am Empfangspult hatte er das Gefühl gehabt, in seiner kudzugrünen Ausgehuniform etwa so hierherzugehören wie ein Spritti mit Pissfleck auf der Hose. Aber – wer hätte das gedacht! Noch während die Bravos auf ihre Platzierung warteten, waren die Club-Stammgäste wie ein Mann aufgestanden und hatten einen imposanten Applaus hingelegt.Ein paar in der Nähe sitzende Millionäre waren zum Händeschütteln gekommen, weiter hinten hatte derweil ein hörbar betrunkener Pulk von Patrioten suffseliges Fangejubel entboten. Dann hatte der Clubmanager, ein schlanker öliger Typ, der so schmalzig sülzte wie ein Bestattungsunternehmer, der Frauen in der Bar anbaggert, die Bravos höchstpersönlich an ihren Tisch geleitet, aber das war irgendwie noch schlimmer, denn all diese Machtmenschen hatten zugeguckt. Billy war aus dem Tritt geraten und hatte flatternde Arme bekommen, aber ein kurzer Blick zu Dime hatte ihn wieder geerdet. Schultern breit, Augen geradeaus, Kopf sechs Grad aufwärts, als wäre Würde ein Schnapsglas, das man auf dem Kinn balancieren kann – er hatte die Dimesche Kipphaltung angenommen, und alles war sofort wieder an die richtige Stelle gerückt.
Aus Schein wird irgendwann Sein, fällt ihm ein. Damit ist er durchs Armyleben gekommen, bis jetzt jedenfalls.
Josh sorgt dafür, dass alle gut sitzen und bedient werden, dann muss er noch mal kurz weg.
»Kerl, iss doch erst mal was«, empfiehlt A-bort. »Du wirst ja immer dürrer bloß vom Rumstehen.«
Josh lacht. »Ich komm schon durch.«
»Wann sehen wir die Cheerleaderinnen?«, will Holliday wissen.
»Bald«, verspricht Josh. Crack quakt dazwischen, Scheiß auf die Cheerleaderinnen, her mit Destiny’s Child, er will ein paar schöne »hautnahe« Augenblicke mit Beyoncé.
»Kriegen wir von den’ auch’n paar Schoßtänzchen?«, beharrt Day. Josh zögert. »Ich frage mal nach«, sagt er, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken, und alle jaulen auf. Josh. Jaaaasssssshhhhh.
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