Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die irre Heldentour des Billy Lynn

Die irre Heldentour des Billy Lynn

Titel: Die irre Heldentour des Billy Lynn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ben Fountain
Vom Netzwerk:
einst zum kleinen lokalen Star hochkatapultiert, seine Sorte Popmusik, eine Dampfwalze aus Liebe, Lust und ewiger Adoleszenz, walzt auch durchaus noch immer kräftig weiter, muss inzwischen aber ohne Rockin’ Ray Lynns orale Gaben auskommen, denn Ray war im Rezessionsklima nach 9–11 plötzlich auf dem Arsch gelandet und der wiederum war zu alt und schrumpelig. Wir lieben dich, Großer, aber du bist draußen. Jahrelang hatte er Wohnungen in Dallas und Fort Worth gehabt, aber auch die Zeiten nahmen ein schmähliches, stotterndes Ende, dabei hatte Ray neben den Gelegenheitsjobs, die er kriegen konnte, permanent an einem Comeback gebastelt, als Conferencier bei örtlichen Misswahlen und Banketten des Rotary Clubs, Gigs, die er »Affentheater« nannte, in dem verbitterten gehässigen Ton, den er zu Hause pflegte und der bestens zu seinem Standardrepertoire aus Verachtung, Sarkasmus und Hass auf alles passte. War ein Erlebnis, wie er von diesem Ton auf seinen Profi-Ton umschalten konnte, eine Art Bauchrednertrick, aber ohne Puppe. Gerade stauchte er einen zusammen, zum Beispiel, weil man die Felgen nicht genug mit Armor All gewienert hatte, damit sie diesen Autosalonhochglanz bekommen, und mitten in der verbalen Fäkaleruption aus Scheiße und Verdammtnochmal und Dunutzlosesarschloch klingelte sein Handy, und urplötzlich, als hätte jemand einen Schalter umgelegt, warer ganz die Hippy-Happy-Stimme aus zehntausend Abendradioshows und der ewige Einschaltquotenkönig im Großraum Dallas.
    Billy hasste das. Nicht nur, weil es verlogen war, es war eine Beleidigung der Natur, als ob man jemandem beim Verformen des Kopfes zuguckt. Aber das Comeback. Das war Rays Mission. Seine Nachforschungen hatten ergeben, dass der Markt durchaus noch einen gekränkten weißen Mann aus dem Herzen Amerikas vertragen würde, der für Glauben und Fahne einstand. Er studierte die Meister, verfolgte die Nachrichten, hing stundenlang im Internet herum. Er produzierte Demotapes und schickte sie herum. Er machte seine Familie zum Testpublikum für seine immer barockeren, gläubig-konservativen Elaborate. Billys ältere Schwester Patty nannte ihn »Amerikas Pimmel«, nach einem besonders feurigen Riff von Ray über den Wohlfahrtsstaat. Ray war stufenlos von Rock’n Roll zu rechtsradikalem Hardcore gehechtet. Ein beachtlicher Kraftakt der Selbstaktualisierung, aber um welchen Preis, mit wie viel Stress für Körper und Seele, es war eine psychische Verbiegung über alle menschlichen Grenzen hinaus, etwas, das man vielleicht bei einer Reise zum Mars erleidet. Der Mann befand sich rund um die Uhr fest im Griff der Paranoia. Er hatte seinen Fernseher und sein Radio zur intellektuellen Bestätigung, seine zwei gewohnheitsmäßigen Schachteln pro Tag zur sinnlichen Instandhaltung, und er duldete keinerlei profane Ablenkung etwa durch frische Luft oder Gymnastik. So schaffte er mit Vollgas vor sich hin, bis er eines Tages sturzbesoffen vom Sofa aufstand und torkelnd und brabbelnd seinen Kopf mit drolligen Patschern traktierte, wie jemand, der einen ganzen Bienenschwarm abzuwehren versucht.
    Schlaganfall. Gleich danach, noch bevor der Notarztwagen da war, der zweite, an dem er fast gestorben wäre. Inzwischen brummelt und maunzt er wie eine ungeölte Ausgabe des Blechmanns von Oz, und Billy macht sich nicht die geringste Mühe, ihn zuverstehen. Kathryn versteht ihn, seine Frau Denise ebenso, und Patty, die extra mit dem kleinen Brian aus Amarillo angereist ist, um die beiden Nächte und den einen Tag mit Billy zu verbringen, versteht ihn auch, meistens jedenfalls. Aber Ray redet ohnehin nicht viel, außer wenn es um persönliche Bedürfnisse geht, und darin liegt das Familiengeheimnis, das seinen Namen nicht zu nennen wagt. Es ging nicht darum, dass er rumgebumst hatte in den Jahren, in denen er die Zweitwohnungen hatte, das musste er ja, also dieses Apartment haben, mit täglicher Pendelei aus Stovall hätte er die vielen Jobs als DJ für die Morgenradioshows mehrerer Metroplex-Sender nie geschafft, in Stovall sollten aber nun mal die Kinder aufwachsen, fest eingebunden in die nachbarschaftlichen Tugenden und die kernamerikanischen Werte der texanischen Kleinstadt. Außerdem hatte Denise einen ziemlich guten Job in Stovall, also waren sie übereingekommen, dass Ray die Woche über in der Großstadt blieb und sich die Finger krumm und wund schuftete und am Wochenende im Triumphzug nach Haus kam. Außerehelicher Sex war nicht das Familiengeheimnis, auch

Weitere Kostenlose Bücher