Die irre Heldentour des Billy Lynn
ist diese neue Ladung Schub hinter seinem eigenen Athletentalent.
Er schwenkt herum, sucht einen festen Stand für den Rückpass zu Dime und sieht ein, zwei, drei Footballs auf sich zuschwirren, Luftunterstützung für einen Sturmangriff auf das Feld. Mango haut einen schnurgeraden Kick raus, der an Billys Kopf vorbeiheult. Lodis rammt Sykes von hinten und reißt ihn zu Boden. Crack und A-bort jagen gleichzeitig hinter einem Pass von Day her, bei jedem Schritt rempelnd und blödelnd, sie taumeln, fliegen vor Lachen fast hin. »Jerry Rice«, ruft Dime, als er an Billy vorbeijoggt, dann legt er einen Gang zu, flitzt los, und guckt sich nach Billy und seinem Pass um. In der Endzone jubeln sie inzwischen aus vollem Hals, na ja logisch, welcher Fan hat nicht schon mal genau davon geträumt, ein Mal wie der Teufel durchdas Walhall aller Profi-Footballfelder zu brettern? Die Bravos genießen es, täuschen in regelfreien Manövern, getackelt wird jeder, der gerade einen Ball hat, Spielteams sind nicht erkennbar beziehungsweise nicht vorhanden, ebenso wenig wie ein Tor, hier ist nur ein Haufen Kerle, die durch die Endzone preschen und bolzen und sich den Arsch ablachen. Wäre Football, denkt Billy, einfach nur dieses gedankenfreie, kopfnussfreudige spielerische Gerüpel, dann wäre das ein fantastischer Sport und nicht das aufgeblasene, geheiligte, wichtigtuerische Scheusal, zu dem es geworden ist, seit die Medienkultur es in die schwitzigen Pfoten gekriegt hat. Regeln. Hunderte von Regeln, jedes Jahr mehr und neu, eine besonders infame, perfide Verzerrung des Sinns von »Spielen«, plus hirnverbrannte Trainer mit ihrem sadistischen Drill und ihren Team-Gebeten und ihren legastheniefördernden Diagrammen und Schiris, diese wie kleine Hitler herumhampelnden Kontrollfreaks, und Time-Outs, bei jedem unvollständigen Pass spieltötende Unterbrechungen, das pontifikalamthaft zelebrierte Instant-Replay in Zeitlupe, dazu andauernd Huddles am Rand, Spielzugbücher, Klemmbretter, Kassetten und alles mögliche sonstige Betäubungsgedöns, dabei ist es in Wahrheit doch schlicht so, dass Jungs nun mal gern durch die Gegend rennen und sich gegenseitig zu Klump hauen. Das Geheimnis war aber auch Billys Mutter verschlossen geblieben. Sie hatte, nach zwei Töchtern, einfach nicht begreifen können, warum sich ihr Sohn schon im zartesten Alter mit voller Absicht und Karacho gegen Wände und Türen und ins Gebüsch warf, den Polsterhocker durchs Wohnzimmer boxte oder sich auf den Boden schmiss, spontan und anscheinend nur, weil der da gerade war. Für so viel Überschwang schien Football ein brauchbares Ventil, und Billy hatte tatsächlich in verschiedenen Phasen seiner Jugend organisierten Ballsport betrieben, wobei »organisiert« das Codewort für ein ausgeklügeltes System aus Kommando und Kontrolle war, indem jedes Gramm Macht oben angesiedelt ist. Football schien wie geschaffen, um produktiv zu sein und sich nützlich zu machen, eine Win-win-Wohltat für die ganze Menschheit, deshalb das endlose Motivationsgekeife über Teamwork, Aufopferung, Disziplin und sonstige moderne Tugenden, deren Kernbotschaft aber doch bloß lautete: Halt die Klappe und tu, was man dir sagt . Also sickerte einem, trotz der ungeheuren Gewalt, die im Spiel selbst steckt, eine unheimliche Passivität ins Hirn. All die Regeln, all die Maximen, all die Trainings, bei denen man drei Stunden lang meistens bloß rumstand und wartete, bis man selber dran war, und sich von irgendeinem Assistent Coach anbrüllen lassen durfte, das alles erzeugte eine fast lustvolle Benommenheit, eine Eintrübung der Wahrnehmung und des Reaktionsvermögens. Irgendwie war es ja auch ganz nett, ständig gesagt zu kriegen, was man zu tun hat, aber nach einer Weile wurde es dann doch höllenlangweilig, und von einem bestimmten Alter an merkte man, wie strunzdumm die meisten Trainer waren.
Also, scheiß auf Football, nach der zehnten Klasse war Billy damit fertig gewesen, aber leider ist die Army so ziemlich dasselbe in Grün, obwohl die Gewalt da, na ja, die ist, wie sie ist, klar. Tausendmal größer. Im Augenblick haben die Soldaten jedenfalls ein bisschen Frieden gefunden, schubsen sich gegenseitig an wie Lottokugeln, jeder Schubs ein Schwall gelöste Spannung, und lachen wie durchgeknallt. In der Endzone – auf den billigen Plätzen für Rednecks und Malocherrüpel – sind alle auf den Beinen und johlen mit. Team Bravo läuft Amok auf heiligem Boden, und – irre! – niemand hält sie
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