Die irre Heldentour des Billy Lynn
Oscars im Regal. Für die Bravos heißt es zurück in den Krieg, mit Deal oder ohne. Irak hieß zwar immer schon Leben oder Tod für sie, aber dieser in der Schwebe hängende Deal scheint die Sache noch zu verschärfen.
Den nächsten Take bringen sie in den Kasten, und alle jubeln, sogar das Kamerateam gibt ein sarkastisches Iiaah dazu. Norm klatscht jedermann altmodisch ab. »Schön auf die Bälle aufpassen«, sagt er zu den Bravos, »die dürft ihr behalten. Könnten aber mit ein bisschen Tinte noch gewinnen, hab ich recht?« Er grinst. »Mir nach, Männer.«
XXL
SIE SIND RIESIG. SIE könnten eine neue Spezies sein oder Wiedergänger einer untergegangenen prähistorischen Epoche, in der die Erde von brauereipferdgroßen Menschen bewandert wurde. Das Fernsehen, das alles auf Spielzeugsoldatenformat bringt, wird ihnen jedenfalls nicht gerecht, diesen aufgepumpten Variationen auf den menschlichen Körperbau mit Bierfassköpfen und Redwoodnacken und softballdicken Muskelpaketen an den Armen, und mit ihren Gesichtern stimmt auch irgendwas nicht, die Augen stehen entweder zu eng oder zu weit auseinander, die Jochbeine und die Nasen erinnern an Spachtelmasse, die jemand mit dem Daumen zerdrückt hat. Die Einzelteile sind zwar komplett vorhanden, aber das Ganze ist irgendwie aus den Fugen geraten, das Verhältnis Schädelumfang zu Gesichtsfeld hat sich proportional verhakt, so als hätten die Spieler beim Erreichen des Superhero-Formats die Blaupause des menschlichen Gesichts weit hinter sich gelassen.
»Kann man echt froh sein, dass man nich Klobrille bei dem Typ is, ne?«, flüstert A-bort Billy zu und nickt in Richtung einesmenschlichem Büchsenfleischbergs namens Nicky Ostrana, dem Cowboys Offensive Guard im All-Star-Team der Saison. Wo, wenn nicht in Amerika, könnte Football so gedeihen, im Land der Millionen Hektar fruchtbarer Böden für Mais, Soja und Weizen, der Milchseen, des ganzjährig eingefahrenen Nachschubs an Obst und Gemüse und Fleisch aller Art, einer unglaublichen Pipeline für Rinder, Geflügel, Meerestiere und Schweine, in Mastbetrieben vollgestopft, vitaminangereichert und immun gespritzt, der ganzen brummenden Industrie zur Hochgeschwindigkeitsproduktion von Protein, hier in Amerika, wo all das nach etlichen Generationen nicht enden wollender Nahrungsaufnahme kulminiert in der Züchtung solcher industriell formatierten Menschen? Nur Amerika kann derartige Giganten produzieren. Billy beobachtet, wie Tony Blakely, der Tight End, eine ganze Schachtel Cornflakes in eine Schüssel kippt, zwei Liter Milch draufschüttet und sich mit einem Servierlöffel selig darüber hermacht. Eine. Komplette. Schachtel. Jedes andere Land wäre pleite, wenn es diese Mammuts durchfüttern wollte, die sich gerade regungslos anhören, was Norm da in der Mitte der Umkleidekabine erzählt. Echte amerikanische Helden ... Freiheit ... die wir genießen dürfen ... »Und deshalb wollen wir sie begrüßen mit unserem wärmsten Cowboys-Willkommen«, animiert er, und die Mannschaft antwortet mit einer Runde Applaus. Ihr eigener Status mag noch so erhaben sein, als Spieler sind sie Norms Angestellte, deshalb, vermutet Billy, müssen sie tun, was er sagt.
Norm dreht sich zu Coach Tuttle. »George, hättest du was gegen ein paar Autogramme für unsere Gäste, wenn sie schon mal bei uns sind?«
Der Trainer sagt mit ausgesprochen sparsamer Begeisterung: »Völlig in Ordnung.« Hätte gerade noch gefehlt, dass er dazufügt: Aber dann verpisst ihr euch aus meiner Umkleide . Tuttle ist ein massiger, mürrischer Mann mit Hängeschultern, in Größe undUmriss einem alten Walrossbullen nicht unähnlich. Seine Haut ist genauso haferflockenbeige wie seine Haarfarbe aus dem Friseursalon, er trägt die buschige Mähne straff zurückgekämmt zum Retrolook der Gefängniswärter im tiefsten Süden. Auf dem Weg zur Umkleidekabine hatte Josh Filzstifte verteilt – und sich selbst geohrfeigt, weil er wieder die Tabletten vergessen hatte –, damit schwärmen die Bravos jetzt aus, Autogramme holen.
»Ob Pat Tillman mal mit irgendwem von denen gespielt hat«, grübelt Dime fröhlich lauthals. Ein paar Spieler werfen ihm finstere Blicke zu, aber keiner sagt etwas. Und während Dime sein Psychorevier absteckt und Sykes und Lodis losstürzen, um möglichst viele Autogramme zu ergattern, tritt Billy auf der Stelle. Er hat den Sinn von Autogrammen noch nie kapiert, und diese Spieler sind dermaßen groß, dass er ihnen nicht mal in die Augen gucken,
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