Die irre Heldentour des Billy Lynn
Falltür auf
und Rettung in letzter Sekunde, das Sicherheitsnetz hängt durch und katapultiert einen mit einem wiiiih in die höheren Sphären
Alsdann die rituelle Folterung eines komplizierten Liedes. Die Sängerin ist jung und weiß, rabenschwarze Haare, schmale Figur, die typische Country-&-Western-Lerche mit dem klassisch gellenden High-Plains-Herzschmerz. Irgendwo hat Billy aufgeschnappt, dass sie das neueste amerikanische Idol ist, jedenfalls ist sie wie alle amerikanischen Idole, egal wie winzig, gesegnet mit einem Mund von den Ausmaßen eines Tonnengewölbes.
Billy steht weiter salutierend stramm. Er denkt ganz fest an Shroom und Lake und den heißen roten Schleier jenes grauenvollen Tages, und gleichzeitig, er ist noch jung und voller Lebenshoffnung, sucht er nach Faison an der Seitenlinie tief unter sich. Sein Blick hakt systematisch alle Cheerleaderinnen einzeln ab, nein, nein, nein, nein, ein Dutzend Neins, dann plötzlich ein Ja , und sein Kopf gerät ins Schleudern wie ein Auto auf Glatteis, seitwärts gedrückt mit einem leichten Wuuusch und der dazugehörigen Übelkeit, der Panik, dem vollen Schließmuskelprogramm, es ist eine Achterbahnfahrt in die Besinnungslosigkeit. Dann klicken seine Augen wieder zurück in die Höhlen und nehmen Faison direkt ins Visier, sie sieht aus wie ein strammer kleiner Koosh-Ball aus weiblicher Vollkommenheit, ihre Bernsteinhaare ergießen sich wie ein Schwall ausgetretene Lava, die rechte Hand presst den Pompom ans Herz. Sie singt mit, er kann sogar von hier oben ihre Mundbewegungen sehen, er fühlt sich so stark mit ihr verbunden, dass er ein paar Zentimeter in ihre Richtung schwankt. Alter, die war scharf auf dich . Der Gesang löst eine sachte Detonation in seinem Innersten aus, hitzeverformte Einzelteile von ihm fliegen durch die Gegend, in seinen Ohren klingelt eine Melodie aus zersprengten Harmonien, die nur er hören kann, und überhaupt, ist »The Star-Spangled Banner« nicht eigentlich ein Liebeslied?
Er darf nicht vergessen zu atmen. Er fühlt sich ruhig und erregt auf einmal, seine Selbstwahrnehmung ist in so kreischhohen Tönen aufgegeilt, dass ihm jeden Moment der Schädel zu bersten droht, er stöhnt auf, es ist einfach zu viel, das kann man nicht in sich behalten. Die Maklerin guckt herüber und stöhnt aus Sympathie zurück. Im nächsten Augenblick ist sie bei ihm und legt ihm einen Arm um die Taille, und so vereint stehen sie da, Billy salutierend, schwitzend, strammstehend wie eine Eins, die Maklerin singend, die rechte Hand auf dem Herzen und die linke um Billys Taille geklammert.
Die Lady kann wirklich schmettern. Radmutterngroße Tränen kollern über ihre Wangen, aber so was macht der Krieg eben mit einem. Macht Gefühle erhaben, verdichtet die Zeit, erregt Leidenschaften, mag ja sein, dass ein einziger Trockenfick, wenn man eine lebenslange Beziehung darauf gründen will, nicht stabiler ist als ein dünnes Schilfrohr, aber Billy möchte ihn so gern als logischen Fingerzeig sehen. Seinetwegen hat Faison gebebt, seinetwegen ist sie gekommen , das muss doch etwas zu bedeuten haben. Klar ist es bei all den sich ständig verschiebenden Variablen des Daseins idiotisch, irgendetwas Bestimmtes zu planen oder zu erhoffen, aber irgendwie geht die Welt doch trotzdem jeden Tag weiter. Also wenn es nicht das bedeutet, was dann? Und warum nicht das?
Die Maklerin zieht ihn an sich. Er hat nicht das Gefühl, dass es eine sexuelle Geste ist, es fühlt sich zu spröde an, eher wie das Aneinanderkleben zweier Süchtiger oder eine mütterliche Umklammerung, und das steckt er weg. Soldatsein heißt auch, zu akzeptieren, dass einem der eigene Körper nicht gehört.
Dann die Pause, das wippende Verharren am Rande der Klippe und danach der vokale Klippenköpper
Nie klingen Amerikaner so sehr wie ein Haufen Besoffene, wie wenn sie das Ende ihrer Nationalhymne zelebrieren. Inmitten des trunkenen Klatschens und Jubelns schart sich etwa ein Dutzend Frauen im mittleren Alter um Billy. Eine Sekunde lang hat es den Anschein, als ob sie ihn in Stücke reißen wollen, ihre Augen sprühen Funken, alles würden sie in Kauf nehmen für Amerika, Folter, Atombomben, weltweite Kollateralschäden, zu allem sind sie bereit für Gott und Vaterland. »Ist das nicht wundervoll?«, ruft die Maklerin und drückt ihn an sich. »Finden Sie das auch so toll? Gibt einem das nicht einfach großen Stolz?«
Doch, genau in diesem Augenblick würde er am liebsten weinen, so verzweifelt
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