Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition)
sowie in ein paar Tüten und sechs Pappkartons. Während Rita nach Hause fuhr und ihr die Enttäuschung ins Gesicht geschrieben stand, packte Gabriel sein letztes Stück Umzugsgepäck in Tembleques Lieferwagen, und dann fuhren beide die Straßen des Eixample hoch und immer weiter hinauf in Richtung Via Favència. Und während Rita …
Punkt fünf Uhr verließ sie den Flughafen. Im Bus sagte sie sich, dass es so nicht weitergehen konnte. Ob mit Tasche oder ohne, musste sie nun sofort in die Pension gehen, mit Gabriel sprechen und das Missverständnis aufklären. Hat einer von euch daran gezweifelt, Christofs? Sie bog in den Carrer Tallers, ging dann durch die Valdonzella bis zur Ronda. Mit dem energischen Schritt derjenigen, die einen Plan auszuführen hat. Um diese Tageszeit ließ die sterbende Februarsonne die Konturen der Häuser verschwimmen und verwittern. Mit seinen noch dunklen Fenstern wirkte das Pensionsgebäude verfallen und unbewohnt. Sie öffnete die Tür und schlüpfte in das Geisterhaus hinein. In einem der oberen Stockwerke schaltete jemand das Treppenhauslicht an und begann hinabzusteigen, wobei er die Titelmelodie von Die Brücke am Kwai pfiff. Sie beeilte sich, um nicht mit ihm zusammenzutreffen. Zwar empfing die Wildziege auf dem Treppenabsatz sie mit demselben abweisenden Gesicht wie zwei Tage zuvor, aber diesmal ließ sie sich nicht einschüchtern. Sie drückte auf die Klingel. Da ihr die Tasche als Rechtfertigung fehlte, hatte sie alle möglichen Begründungen ersonnen, warum sie mit Gabriel sprechen musste, doch sie brauchte sie gar nicht. Frau Rifà erkannte sie sogleich und bat sie herein.
»Ich habe dich schon erwartet«, sagte sie. Das stimmte vielleicht nicht, aber die Worte passten zur Situation. Rita fühlte sich plötzlich unwohl, als würde jemand sie versteckt beobachten. Frau Rifà knipste das Flurlicht an, und da sah sie die Galerie der präparierten Tiere.
»Komm rein, komm rein. Wir machen uns einen Kaffee, und dann reden wir über Bundó und Gabriel.«
»Ist Herr Delacruz zu Hause? Ich müsste ihn umgehend sprechen.«
Rita sprach gedämpft, als befände sie sich in einem Altersheim. Sie ging dicht hinter der Wirtin her. Der Boden vibrierte, die Vitrinen klirrten und klangen nach teurem Kristallgeschirr. Eine der Türen, die vom Flur abzweigten, stand halb offen, und sie erblickte im Vorbeigehen einen Mann auf einem Bett. Er lag da in merkwürdiger Haltung, weil er Zeitung las, und sie konnte sein Gesicht nicht sehen.
Anstatt ihr zu antworten, hielt Frau Rifà vor einer anderen Tür inne, öffnete sie sperrangelweit und zeigte Rita ein leeres Zimmer.
»Gabriel ist aus dem Nest geflogen, meine Hübsche«, sagte sie knapp. In ihrer Stimme schwang ein missbilligender Unterton. »Es war, um ehrlich zu sein, höchste Zeit, dass er sich mal in wärmere Gefilde aufmachte. Von mir aus hätte er hier bleiben können, bis er alt und grau ist, aber für ihn ist es besser so.«
Rita trat hinein und stand still im Dämmerlicht. Je näher, desto ferner, erlaubte sie sich zu denken. Auf der Schwelle verfiel Frau Rifà in die Pose, in der sie die Zimmer neuen Interessenten vorführte, und schaltete auch hier das Licht an. Der Anblick des Raums, so nackt und entseelt, ließ Rita erzittern. An diesem Abend reihte sich Helligkeit an Helligkeit, und jede war eine Enttäuschung. Die Wollmatratze, eingerollt wie eine Röhrennudel, wartete darauf, ausgeklopft zu werden. Die Tür des Kleiderschranks schwang von selbst halb auf, in einer Geste der Unterwerfung. Etliche kreisrunde Spuren eines Trinkglases auf dem Tischchen verrieten eine schwere Nacht. Vermutlich Cognac. Kein weiteres Anzeichen deutete darauf hin, dass in diesem Zimmer noch gestern Nacht jemand gewohnt hatte.
»Bestimmt hat der da es ihm gezeigt«, sagte Rita mit Blick auf den Falken auf dem Schrank. Frau Rifà sah sie verständnislos an.
»Wie man fliegt, meine ich. Der Vogel da hat ihm gezeigt, wie man fliegt. Ist Gabriel sehr weit weggegangen?«
»Das weiß ich nicht«, antwortete Frau Rifà, froh, sich wieder einbringen zu können. »Ich habe ihn natürlich gefragt, was meinst du wohl, aber der Tod von Bundó hat ihn fast um den Verstand gebracht. Er will nicht mehr reden. Hundertmal habe ich ihm gesagt, er soll nicht darüber nachdenken, doch er fühlt sich schuldig. Er war ja immer schon ein verschlossener Typ, und jetzt erst … Hat mir nur kurz Auf Wiedersehen gesagt, und er würde noch mal vorbeikommen, um sich in Ruhe
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