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Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition)

Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition)

Titel: Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jordi Punti
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richtete, eine und nur diese eine, das Pfand, das sie geradewegs zu Gabriel bringen sollte?
    Rekapitulieren wir.
    Ich war noch nicht geboren.
    Christof war schon sechs Jahre alt, lebte mit Sigrun in Frankfurt am Main, und wenn er sich einsam fühlte, teilte er sein Leid mit einer Bauchrednerpuppe. Sie waren wie Brüder, einerseits unzertrennlich, andererseits konnten sie wegen jeder Nichtigkeit in Streit geraten. Wenn es dazu kam, quälte die Puppe Christof, indem sie ihm sagte, sein Vater werde niemals wiederkommen.
    Christopher hatte den Vater seit drei Monaten nicht mehr gesehen. Er war viereinhalb und hatte im Kindergarten etwas aus Knetgummi modelliert und es seiner Mutter geschenkt. Es sollte ein Umzugslaster sein, mit riesigem Laderaum, und zwei Figürchen, Sarah und er, waren hineingeklettert und wollten mitfahren.
    Christophe war gerade drei geworden. Mireille hatte das letzte Weihnachtsfest in Barcelona verbracht. Manchmal, wenn sie Gabriel vermisste, nahm sie Christophe auf den Schoß und erzählte ihm von der Stadt. Eines Tages würden sie dorthin ziehen. Sie könnte dort in der französischen Buchhandlung arbeiten. Wenn der Vater sie – bald, ganz bald – wieder besuchen käme, würde sie ihm das vielleicht vorschlagen. Christophe verstand so gut wie nichts von dem, was sie ihm erklärte, aber er sagt, kleine Kinder begreifen solche Dinge auf ihre Weise trotzdem.
    Ich war wie gesagt noch nicht geboren. Nicht einmal gezeugt. Nicht einmal hatten unser Vater und meine Mutter sich wirklich kennengelernt. Wenn man mich zu diesem Zeitpunkt mit irgendeiner physischen Präsenz in Verbindung bringen, wenn ich einen Körper erhalten könnte, noch ehe die Vorstellung meiner Existenz einen Sinn ergibt, dann wäre ich gleichsam diese verloren gegangene Tasche gewesen. Oder andersherum: Dieses Gepäckstück, das durch wer weiß welchen Flughafen geisterte, enthielt einen Gutteil von Ritas Zukunft.
    Am Freitag, dem Tag nach Bundós Begräbnis, ging sie arbeiten, als wäre nichts geschehen. Krank war sie nie, aber wenn sie gewollt hätte, hätte sie bloß im Käfig anzurufen und zu sagen brauchen, sie fühle sich nach ihrer Ohnmacht noch schwach, und sie hätte zu Hause bleiben können. Alle hätten dafür Verständnis gehabt. Doch der Wunsch, Gabriels Tasche zu finden, beherrschte sie. Sie war früher aufgewacht als sonst, in einem diffusen Alarmzustand. Als sie vor dem offenen Kleiderschrank stand, wurde ihr klar, warum, und sie begann zu überlegen: Sollte sie sich schwarz kleiden, als Zeichen der Trauer um den armen Serafí Bundó, oder vielmehr schreiend bunt, zur Feier der Auferstehung ihres Gabriel? Die beiden Gefühle hoben sich gegenseitig auf. Sie entschied sich, für jedes von ihnen ein Kleidungsstück zu tragen, und in diesem Aufzug, so unpassend wie ein Sarg beim Kindergeburtstag oder ein Luftballonverkäufer am Friedhofstor, begab sie sich zum Flughafen.
    Im Käfig zog sie die Uniform an, und diese königsblaue Steifheit half ihr, die Füße wieder auf den Boden zu bekommen. Natürlich sah sie als Erstes nach, ob sich die verdammte Tasche eingefunden hatte, aber alles war wie gehabt. Sie verbrachte den Tag damit, vergeblich auf sie zu warten. Unter dem Vorwand, die neu eingetroffenen Koffer zu katalogisieren, prüfte sie jedes einzelne Stück im Lagerraum, weil ja vielleicht jemand Gabriels Tasche falsch eingeordnet hatte. Am Mittag rief sie verzweifelt im Büro der Lufthansa in Madrid an. Sie rezitierte die Reklamationsnummer, die sie auswendig wusste, und bekam versichert, die fragliche Tasche sei vor zwei Tagen abgeschickt worden, müsste also längst in Barcelona eingetroffen sein. Wütend knallte sie den Hörer auf die Gabel.
    Mit der Vergangenheit gibt es ein Problem, Christofs: Sie ist unberührbar, und niemand vermag sie zu ändern. Doch während sie es uns nur gestattet, sie aus der Ferne zu betrachten, gewährt sie uns immerhin das Privileg der Allgegenwart. Als einfache Zuschauer können wir in ihr überall zugleich sein und darüber staunen, auf welch verworrenen Wegen sich die Schicksale kreuzen. Wir wissen, dass an jenem Morgen, als Rita sich seltsam anzog, um eine schwierige Nacht wegzuscheuchen, etwa dreihundert Meter entfernt Gabriel zum letzten Mal im Pensionsbett und unter dem strengen Blick des ausgestopften Falken erwachte. Während Rita Dutzende fremder Gepäckstücke durchging, versuchte Gabriel, seine sämtlichen Besitztümer in seine beiden historischen Koffer zu zwängen –

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