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Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition)

Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition)

Titel: Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jordi Punti
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mittlerweile die Bar, eine Klangkulisse wie in einem Dorfcafé, und das Tosen der aufgewühlten See draußen klang wie Hintergrundjazz. Wäre nicht das Schaukeln gewesen, hätte niemand gedacht, dass man sich mitten in einem Unwetter befand. Der dichte Zigarrenrauch hüllte den Ecktisch mit den Spielern in ein Aquariumlicht. Ein neues Geräusch kam auf: Am anderen Ende des Raums hatten zwei junge Männer sich auf den Boden gesetzt, der eine spielte Gitarre, der andere sang. Es waren seltsame Lieder, die Anna noch nie gehört hatte. Bob Dylan, Donovan, Eric Burdon. An ihrem Akzent bemerkte man, dass die beiden Franzosen waren. Nach einer Weile ging Anna zu ihnen hinüber, grüßte mit einem Kopfnicken und setzte sich ebenfalls auf den Boden. Die zwei sahen sie an, ohne ihren Song zu unterbrechen. Als sie ihnen die Zigarettenschachtel hinhielt, griffen beide zu.
    »Anna«, stellte sie sich vor.
    »Ludovic.«
    »Raymond.« Er begleitete seine Worte mit einem gezupften Akkord. Für so viel Kitsch gab es von Ludovic in aller Freundschaft einen Rippenstoß. Beide trugen ihr Haar lang und ungekämmt und waren nicht rasiert. Sie hatten dunkle Ringe um die Augen und die gleiche Kleidung an: abgewetzte Cordhosen, Wollpullover, Halstuch mit Silberfäden, Militärjacke. Sie waren um die zwanzig und Brüder. Aus Paris. Die Pullis hatte ihnen die Oma gestrickt. Weit weg von den Fernfahrern, auf sich selbst gestellt und Französisch sprechend, fühlte Anna sich viel sicherer. Sie fragte, wohin sie unterwegs seien (nach London). – Ob sie denn allein reise (ja). Sie könne gern mit ihnen kommen (mal sehen). Sie hatten eine Adresse im Stadtteil Brixton, wo sie ein paar Tage bleiben konnten. Sie würden in die Plattenläden gehen und einen Zettel aushängen, dass sie einen Bassisten und einen Schlagzeuger suchten. Sie würden eine Band gründen. Der Name fehlte noch. Aber sie würden ganz groß rauskommen.
    »Könnt ihr was von Brassens?«, fragte sie, als sie fertig geraucht hatten. Sie hatte Lust, mit ihnen zu singen.
    »Igitt, nee!«, rief Raymond. »Wir spielen keine Chansons. Wir sind diese ganze Poesie leid. Wir wollen niemanden retten. Jeder soll machen, was er will, okay? Das Leben hat viele Farben, nicht bloß grau und schwarz. Und wir mögen keine Katzen.«
    »Brassens, Brel, Ferré, was für Nervensägen!«
    »Gainsbourg, ja, der schon. Und Boris Vian. Aber wir wollen es in England schaffen, deshalb singen wir auf Englisch.«
    Raymond konnte es nicht lassen, die ersten Takte von Donovans Sunshine Superman zu spielen, und Ludovic schloss unwillkürlich die Augen. Es war die Kraft der Psychedelik, die selbst durch eine schlichte akustische Gitarre noch so mächtig wirkte.
    Anna fühlte sich gekränkt. Diese beiden Langhaarigen wollten ihr die Sommer schlecht machen, die sie damit verbracht hatte, am Strand La mauvaise reputation zu singen.
    »Aha? Und wie gedenkt ihr, es in England zu schaffen?«, fragte sie spöttisch.
    Die Brüder sahen sich an und lächelten, als teilten sie ein Geheimnis.
    »I feel free, I feel free, I feel free … Dancefloor is like the sea; ceiling is the sun …«, sang Ludovic.
    »What cares these roarers for the name of king? To cabin: silence! Trouble us not«, so ertönten von der anderen Seite des Raums die Worte Shakespeares als Antwort auf die Worte von Cream.
    »Wir haben ein paar eigene Songs«, sagte Raymond. »Und wenn es mit denen nicht klappt, weil sie zu vorhersehbar sind oder zu seltsam, dann wissen wir, wie man neue macht.«
    »Wie denn?«
    Die beiden Jungen blickten sich an. Sie hatten die Frage erwartet. Ludovic schob die Hand in eine Seitentasche des Rucksacks und holte eine Streichholzschachtel hervor. Darin befanden sich ein paar kleine Schnipsel Löschpapier.
    »Indem wir auf die Reise gehen. Wir sind die Herzoge der Stratosphäre, wir sind die flüssige Flamme, die die Sonne nährt …«
    »Die Haut des Chamäleons zwischen zwei Farben, der schwarze Diamant, den die Schenkel einer Javanerin bergen …«
    Das Mädchen sah sie verwirrt an. Versuchten sie, sich über sie lustig zu machen?
    »Das sind Zeilen aus einem unserer Songs«, klärte Raymond sie auf.
    Im Sommer hatte Anna zum ersten Mal Marihuana geraucht. Eines Abends hatte sich ein belgischer Maler mit seiner Freundin zu der Gruppe von Cala Montgó gesellt und ein paar Joints herumgereicht. Am Anfang war ihr schwindelig geworden – vielleicht auch vor Furcht –, doch nach dem dritten Zug ging ein so angenehmes Kribbeln

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