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Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition)

Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition)

Titel: Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jordi Punti
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auf jeden Muskel ihres Körpers über, dass sie, genau wie die anderen, vor Vergnügen laut zu lachen begann. Später in derselben Nacht hatte sie zum ersten Mal von psychedelischen Drogen gehört. Jemand hatte erzählt, dass ein paar Engländer in Platja d’Aro, jede Nacht im Tiffany’s anzutreffen, Musik von den Byrds und den Animals auflegten und in der Morgendämmerung ihren Freunden ganz neuartige Drogen spendierten. Die Glücklichen gingen dann runter an den Strand, bei der Punta d’en Ramis, und gaben sich einer unbeschreiblichen mystischen Erfahrung hin. Für einige Stunden bewohnten sie fremde Welten. Das Gehirn, so sagten die, die es ausprobiert hatten, verwandelte sich in einen sprudelnden Quell neuer Sinneseindrücke, die das ganze Bewusstsein erfüllten, sodass man sich vorkam wie in einem Zeichentrickfilm, aber einem, in dem alles überbordete und voller Liebe war. Wenn sie aus dieser anderen Wirklichkeit wieder auftauchten, beschrieb jeder von ihnen sie unterschiedlich, aber alle sagten, sie wollten gern gleich morgen wieder hin.
    »Was sind das für Papierchen? LSD?«, fragte Anna. Die drei Buchstaben kitzelten ihren Gaumen. Der Zufall hatte sie hier direkt vor ein riesiges Privileg gesetzt.
    Die Brüder nickten, und ein Schauer des Geheimwissens überlief alle drei.
    »Ich will es probieren.«
    »Jetzt? Hier?« Auch wenn sie sich als Experten aufspielten, hatten Ludovic und Raymond selbst erst drei Mal LSD genommen, und auch nur in der Abgeschiedenheit ihres Proberaums.
    »Zu gefährlich.«
    Ein neuerliches Aufbäumen des Meeres ließ das ganze Schiff erzittern, Neptun hatte Schüttelfrost.
    »Gefährlicher als das hier? Ich weiß nicht, wie ich diese Fahrt überstehen soll.« Aus Annas Worten sprach die Verzweiflung, und dazu machte sie ein Engelsgesicht. Da konnten die beiden Jungen nicht Nein sagen. Raymond schob die Streichholzschachtel wieder auf.
    »Wir teilen uns eine kleine Dosis, okay? Sodass es nur zwei Stunden anhält. Wenn wir die englische Küste erreichen, müssen wir den Kopf wieder klar haben.«
    Er zerriss eins der braunen Papierchen in drei gleich große Fetzen und teilte sie aus.
    »Leg es dir unter die Zunge, es löst sich auf«, sagte Ludovic und machte Anna vor, wie es ging. Ihr zitterten die Finger.
    Am Tag darauf oder auch Monate später, wenn sie versuchte, sich an diese ersten Momente zu erinnern, war es ihr unmöglich, die Ereignisse in eine logische Abfolge zu bringen. Die Version, die sie ihren Freunden erzählte – wie wenn man einem Psychoanalytiker einen Traum schildert –, verband Fragmente ihrer eigenen Erinnerung mit jenen der beiden Brüder und jenen der erschütterten Zuschauer wie zum Beispiel Bundó und Gabriel. Sie wusste noch, dass ihr die Wartezeit, bis der Trip wirklich begann, ewig vorkam. Eine endlose halbe Stunde, in der die Brüder und sie sich abflugbereit in die Augen starrten und somit eine Art Blickkreis schufen, der nur sie drei und sonst nichts enthielt. Aus weiter Ferne drangen Shakespeare-Verse an ihr Ohr – der englische Schauspieler war unermüdlich –, verklebt mit der Stimme des Kapitäns, der sich erneut an die Passagiere wandte, weil das Unwetter schlimmer wurde, mit Blitz und Donner, Sankt Markus, Sankt Matthäus, heilige Barbara, lasst mich nicht im Stich, und besser, wenn das Splaschschschfff der ständigen Wellen ihnen nicht zu nahe kam, damit das Barrummm des Meeresgrunds sie nicht, schlurp!, erbarmungslos einsaugte, amen.
    »Sehen wir zu gut aus, wir zwei?«, fragten die Brüder sie. »Wir wären gerne hässlicher. Hässlich, widerwärtig. Hässlich. Widerwärtig. Wie Serge Gainsbouuuuurg, mit seinen Riiiesenohren und seiner jüüüdischen Haaakennase. Die Schöööönheit kommt von inneeen, ooooder, Anna Anneeette?«
    Zur Antwort küsste sie beide auf den Mund, und die Küsse hatten den Jodgeschmack einer Auster und einer Perle, obwohl sie nicht genau wusste, wie eine Perle schmeckte.
    Ihr erstes LSD-Bild zeigte die schlichte und vollkommene Gestalt eines Wassertropfens. Sie selbst war das Zentrum dieses Tropfens. Geräuschlos war sie vom Himmel gefallen, und um sie herum dehnte sich in konzentrischen Kreisen die Welt aus. Der Regen, der draußen an die Fensterscheiben spritzte, war orange mit Luftblasen, wie Fanta. Anna öffnete ihre Augen noch weiter (sie erfreuten sich nun eines Lebens frei von der Unterdrückung durch Wimpern) und umarmte in Gedanken alles, was diese Kreise enthielten. Zuerst die beiden Brüder. Wie einer

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