Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition)
sich die Namen der beiden richtig zu merken. Gabriel verzichtete darauf, sie zu verbessern; immerhin war es das erste Mal, dass sie ein Gespräch begann und nicht bloß danach fragte, wie lange die Fahrt noch dauern würde.
»Du bist die Dritte. Und außerdem die Jüngste. Glaub nicht, dass uns das Spaß macht. Theoretisch verstoßen wir hiermit gegen spanisches Recht, wir machen uns strafbar. Aber unser Chef ist einer von denen, die besonderen Service anbieten, und deine Eltern …«
»Meine Eltern können mich mal«, unterbrach sie ihn. »Ich tue das für mich selbst und basta. Ich will kein Kind haben, niemals. Ich finde Kinder furchtbar.«
Ihre Worte klangen überzeugt, aber kein bisschen aggressiv. Fast kamen sie ihm wie eine Bitte vor.
»Sag so was nicht. Du bist sehr jung, und wer weiß, wie das Leben spielt. Ich zum Beispiel …«
»Hast du Kinder?«
»Nicht dass ich wüsste.«
»Und hättest du gern welche?«
»Ja. Auf jeden Fall.« Das sagte er, ohne zu zögern. »Eines Tages. Wenn mal Schluss ist mit der Möbelfahrerei und ich eine Frau finde, die es mit mir aushält.«
»Wie alt bist du?«
»Gerade sechsundzwanzig geworden. Und was ist das hier für ein Verhör?«
Er sieht älter aus, dachte Anna. Ein neuerlicher Windstoß fegte übers Deck, heftiger als der erste, und traf sie unvorbereitet. Die Fähre begann im aufgewühlten Wasser zu schwanken. Die wenigen Leute, die noch draußen standen, eilten hinein. Gabriel fand, das sei ein guter Anlass, um das Gespräch zu beenden, und er lud Anna ein, mit ihm hinunter in die Bar zu gehen. Sie blieb erst noch ein paar Augenblicke draußen, ganz allein, ein feiner Regen begann ihr ins Gesicht zu sprühen, dann folgte sie. Unten, am Fuß der schmalen Treppe, kam ihnen Bundó entgegengerannt. Er war in heller Aufregung.
»Hallo Kleine, wie geht’s dir? Alles klar, oder?« Ohne eine Antwort von Anna abzuwarten, wandte er sich an Gabriel: »Weißt du, wer dahinten am Bug ist? Oder vorne am Heck, ich verwechsele das immer … egal. Ich meine die andere Seite von dem Schiff, weißt du, wer da ist?« Eine Pause, um es spannender zu machen. »Der Franzose. Der mit dem Pferd. Der mit dem Jungen.«
Und da war es, als hätten Bundós unbedeutende Worte eine okkulte Kraft entfesselt, die sich der Fähre und der Menschen an Bord bemächtigte. Anna erkannte Gabriels Gesicht kaum wieder. Sie sah seine Augen zu Schlitzen verengt, wie beim Fuchs im Kindermärchen, und sah, wie die Muskeln und Venen seines Halses sich anspannten. Auch hatte er auf einmal trockene Lippen und fuhr sich mit der Zunge darüber, um sie zu befeuchten. Ihren Abschluss fand die plötzliche Verwandlung in einer Geste: Hastig, als suchte er seine Brieftasche, tastete er sich die Brust ab, zog seine Hemdsärmel glatt und prüfte, ob die Manschettenknöpfe richtig schlossen. Dann war er wieder ruhig wie immer. Bundó rieb sich die Hände.
»Wollen sie spielen?«, fragte Gabriel.
»Und wie. Sie erinnern sich noch gut ans letzte Mal.«
»Was spielen?«, schaltete sich Anna ein.
»Karten«, sagte Bundó. »Poker.« Da war Gabriel schon verschwunden, in einem der langen, mit Tapisserien verzierten Korridore, in Richtung der Bar auf der anderen Seite. Während sie ihm folgten, taumelnd, weil das Schiff immer stärker schwankte, erklärte Bundó Anna, wer der Franzose war. Bei ihm äußerte sich Nervosität so, dass er noch mehr redete als sonst.
Der Franzose, ein Pariser von etwa fünfzig Jahren, hieß passenderweise Monsieur Champion. Arrogant und unausstehlich, ein Widerling von Kopf bis Fuß. Er stank nach Geld und glaubte, die ganze Menschheit müsste ihm zu Diensten stehen. Auf einem Gut in der Bretagne züchtete er Pferde. Das Juwel seines Stalls war ein englisches Vollblut, das bei den großen Rennen auf der Insel antrat. Ein prächtiger Hengst, keine Frage. Sans Merci hieß er. Monsieur Champions ständiger Begleiter war Ibrahim, ein junger Mann aus Algerien, scheu und einsilbig. Laut Bundó unterhielten Herr und Bursche eine seltsame Beziehung, »etwas Undurchsichtiges, Anna, du verstehst mich schon«. Manchmal behandelte der Franzose Ibrahim wie einen Sklaven und schien kurz davor, ihm Ohrfeigen zu verpassen, dann wieder sah er ihn entzückt an. Der Junge machte einen äußerst gutmütigen Eindruck und klagte nie. Seine Aufgabe war es, den Hengst zu pflegen, ihn zu striegeln und zu füttern und dafür zu sorgen, dass er auf der Reise, im Pferdeanhänger, entspannt und ruhig blieb.
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