Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition)
was ihn noch zorniger machte. Schreiend wiederholte er die Frage und schlug dabei mit dem Knüppel gegen den Schrank (Mireille kauerte sich in die Ecke, die ihr am weitesten von den Schlägen entfernt erschien). Bundó, der gerade dazukam und von nichts wusste, aber französische Polizisten hasste, mehr weil sie Franzosen als weil sie Polizisten waren, zeigte auf den Schrank und sagte: »Jawoll, Mann, klopf an, klopf an. Wir haben sie dadrin, was meinst du?«
Der Beamte musterte ihn verächtlich von oben bis unten. Gabriel und Petroli standen da wie versteinert. Ohne noch etwas zu sagen, schlug der Gendarm ein paar weitere Male gegen den Schrank, schwächer nun, als würde er den Takt seiner polizeilichen Gedankenarbeit klopfen. Dann tauchte, schicksalhaft, hinter dem Möbel der Hausportier auf und informierte ihn in einem höflichen, sehr überzeugenden Französisch, das Mädchen sei die Straße hinuntergeflüchtet und nach links abgebogen.
»Sie wirkte sehr erschöpft, Sie werden sie schnell einholen«, bekräftigte er, als der Polizist losrennen wollte. Den drei Möbelpackern warf er einen vernichtenden Blick zu und wiederholte, mit den Fingern schnippend, seinen Lieblingsspruch: »Vite, vite, vite!«
Bald umgab sie wieder dieselbe drückende Stille wie zuvor. Aus dem Café gegenüber drang das Klackern der Billardkugeln, das Tock-tock eines geglückten Stoßes.
Nummer 126. Barcelona–Paris. 11. Mai 1968.
Wir haben den Ramschkarton erwischt. Den gibt es bei jedem Umzug, es ist immer der letzte, den die Leute zumachen. Da kommt der ganze Krempel rein, der noch im Haus verstreut war, und die Sachen, die man bis zuletzt vergessen hat. Also normalerweise nur Plunder, aber heute geht es in Ordnung. Petroli behält eine Kiste Zigarren und sagt, die goldenen Ringe schenke er Tembleque, der sie sammelt. Für Petroli sind außerdem ein Glaskästchen mit sechs tropischen Schmetterlingen, ein Buch mit dem Titel Vida sexual sana und eine Keramikfigur mit abgesprungenen Ecken, die ein paar Hunde beim Angriff auf einen Jäger zeigt. Bundó bekommt eine Fußmatte mit der Aufschrift » Willkommen« für seine Wohnung in der Via Favència, eine Sammlung von Wimpeln der Hockeyteams verschiedener Universitäten – er wird sie in seinem Zimmer aufhängen und behaupten, er hätte studiert – und eine Sonnenbrille, wie sie José Luis Barcelona im Fernsehen trägt. Gabriel trägt einen neuen Plüschbären davon und einen tragbaren Kassettenrekorder mit Batteriebetrieb. Dazu Kassetten von Maria Dolores Pradera, Pau Casals sowie Xavier Cugat mit seinem Orchester. In zwei weitere Kassetten, von denen zum Selbstbespielen, Marke Agfa, werden wir auf der Fahrt mal reinhören. Eine Spardose vom kirchlichen Hilfswerk Dòmund, in Gestalt eines Negerkindkopfes, haben wir geknackt und werden für die fünfzig Peseten, die wir darin fanden, eine Flasche französischen Cognac kaufen.
Wie oft mag mir meine Mutter die Geschichte mit dem Kleiderschrank erzählt haben? Sie schließt die Augen, wahrscheinlich, um sich in die Dunkelheit dadrinnen zurückzuversetzen, und erinnert sich ein weiteres Mal, für euch, Christofs.
Die drei Arbeiter von La Ibérica ersparten es ihr nicht, in ihrem Versteck auf Reisen zu gehen. Sei es, dass sie fürchteten, ein weiterer Gendarm würde auftauchen, sei es, weil das Pflichtgefühl sie den Rücken krumm machen ließ: Anstatt Mireille aus dem Schrank zu holen, luden sie ihn sich samt dem Mädchen auf und trugen ihn die Treppen hoch. Es dauerte nicht lange – »genau sechsundzwanzig Stufen im Schildkrötentempo, später, beim Gehen, habe ich sie gezählt« –, aber es reichte dafür aus, dass meine Mutter sich in Gabriel verliebte. So sagt sie selbst. Starr vor Angst und Scham, eingeschlossen in diesen mobilen Beichtstuhl, erlebte sie ihre weltliche Epiphanie: errettet von der Arbeiterklasse! Während Studenten wie sie für eine gerechte Welt demonstrieren gingen, in der jeder beim Aufwachsen die gleichen Chancen hätte, mussten diese Genossen weiter schuften, versklavt von einem Unterdrücker, der ihnen das Blut aussaugte. Und indem sie sie nun vor dem Gendarmen schützten, revanchierten sie sich dafür, dass sie für ihre Rechte kämpfte. Das war doch das beste Beispiel für die Solidarität der Klassen, wie die Studenten sie forderten!
»Man bedenke, ich war zwanzig und hatte den Kopf voller Doktrinen und Proklamationen«, merkt Mireille an. »In dem Schrank war es eben so dunkel, dass ich plötzlich das
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