Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition)
Licht sah. Ah, und man bedenke außerdem, noch viel wichtiger: Gabriel war so unglaublich attraktiv! Dein Vater war ein Verführer, wie es sie selten gibt, Christophe, ein Jammer, dass du diese Qualität nicht geerbt hast. Ein passiver Verführer. Frag die anderen Frauen, wenn du mir nicht glaubst … Ohne sich irgendwie zu bemühen, allein mit seiner halb schüchternen Präsenz, hatte er mich sofort um den Finger gewickelt.«
Oben in der Wohnung öffnete Petroli die Schranktüren, und Bundó reichte ihr die Hand, um ihr herauszuhelfen. Mireille starrte die drei Männer stumm an, wie ein wildes Tier, das zum ersten Mal Menschen sieht. Sie fragten, ob es ihr gut gehe. Bundó ahmte den wütenden Polizisten nach, und alle lachten. Gabriel stellte sich und die anderen vor. Nun waren diese drei Muskelmänner also nicht nur unterdrückte Transportarbeiter, sondern obendrein Spanier, die ihr Dasein unter der Tyrannei des Franquismus fristen mussten.
Sie machten mit ihrer Arbeit weiter und ließen sie mit ihren Grübeleien allein. Als Gabriel das nächste Mal hochkam, zusammen mit Bundó eine Waschmaschine tragend, war sie schon in ihn verliebt. Er brauchte allerdings noch eine Weile, bis er es merkte.
Um Schlag neun Uhr hatten sie alles oben. Die drei Freunde wuschen sich und zogen sich um. Es war ein sehr langer Tag gewesen, aber nun erwartete sie die Entschädigung. »Paris la nuit!«, riefen sie mit übertriebenem Akzent. Der Portier kam hoch, prüfte, ob alles in Ordnung war, quittierte ihnen den Umzug und schloss die Tür. Mireille wollte bei ihnen bleiben, vorsichtshalber. Bei ihnen fühle sie sich sicher, sagte sie. Sie gingen zusammen hinunter. Draußen, nachdem der Mann ihnen eine gute Rückfahrt gewünscht hatte, spielte jeder seine Rolle wie vorgesehen. Mireille gaukelte eine herzliche Verabschiedung vor und ging die Straße hinab. Die drei Freunde stiegen in den Pegaso und fuhren ebenfalls los. Als sie in die Rue Lhomond einbogen, erwartete Mireille sie an der Ecke und strahlte übers ganze Gesicht. Der Laster hielt an, Petroli und Gabriel stiegen aus. Bundó behielt die Wohnungsschlüssel. Er würde eine Parklücke suchen – Mireille empfahl ihm, sich am Friedhof von Montparnasse umzuschauen – und zu Fuß zurückkehren. Der Streit mit Muriel am Morgen nahm ihn immer noch sehr mit, und ihm stand der Sinn nicht nach Romantik. Petroli hingegen hatte genaue Pläne für die Nacht. Ein paar Emigranten hatten ihm vor einiger Zeit von einer Bar, nicht weit entfernt, berichtet. Le Buci hieß sie, gleich beim Odéon, sie hatten sie ihm mit einem Kreuz auf dem Stadtplan markiert. Wäre es ein Donnerstag oder Sonntag gewesen, hätte er sich in die Avenue Wagram begeben, da trafen sich alle Spanier. An den anderen Tagen aber war Le Buci der beste Ort, um in Paris Landsleuten zu begegnen. Er würde versuchen, die Demonstrationen zu umgehen, und durchs Viertel Saint-Germain laufen. Da er sehr müde war, würde er in dem Lokal nur ein Bier trinken und dann gleich wieder aufbrechen und schlafen gehen – falls ihm, na klar, nicht im letzten Moment noch eine heimwehkranke Dame aus Córdoba oder Salamanca in die Arme liefe.
Mireille hatte Gabriel überredet, sie ins Bistro in der Rue Danton zu begleiten. Wenn sie nicht zu sehr trödelten, wären sie rechtzeitig zum vereinbarten Wiedertreffen um zehn Uhr dort. Sie brannte darauf, ihn Justine und den anderen zu zeigen.
»Schön gescheitelt, in Schlaghose und Lederjacke, gab Gabriel das Bild eines Gewerkschafters ab, der sich für den Streik herausgeputzt hat«, erinnert sich meine Mutter, nachdem ich sie gebeten habe, diese Episode wieder selbst zu erzählen. »Er hatte keine große Lust, mitzukommen. Ihm wäre mehr nach einem touristischen Spaziergang gewesen, am liebsten bis zur Notre-Dame, aber ich sagte ihm, dass in diesen Tagen die Touristen wir waren, die Studenten. Wir gingen in flottem Tempo, und ich erzählte ihm von der Rennerei am Nachmittag und von unseren Forderungen. Ich sprach ganz langsam, damit er mich verstand. Er nickte immer wieder höflich, aber mir war klar, dass es ihn nicht interessierte. Je näher wir der Rue des Écoles kamen, desto lauter wurde das Geschrei. Wir liefen durch Rauchwolken, und die Augen begannen uns zu brennen. Ich versuchte Gabriel mit meiner Begeisterung anzustecken, dass wir uns genau in diesem Moment genau hier befanden. Und wie wichtig es mir war, dass er dabei war. Plötzlich riss uns eine Menschenmenge mit, die von der Ecke
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