Die italienischen Momente im Leben
Brücken, noch eine Gasse, noch eineBrücke, dann geht es über einen Rio, einen kleineren Kanal, es folgt ein Durchgang unter einem Gebäude und noch eine Brücke, ein kleiner Platz und eine salizada , wie man in Venedig früher eine gepflasterte Gasse nannte. Der Weg kommt mir endlos lang vor, aber tatsächlich sind es von der Vaporettostation bis zur kleinen Anlegestelle der Gondeln hinter dem Markusplatz keine hundert Meter. Es sind noch Leute unterwegs, aber nicht so viele, wie ich erwartet hätte. Manchmal wirkt die Stille geradezu unwirklich, die kleinen Plätze machen den Eindruck, als wäre die Zeit dort stehen geblieben. Brücken über Kanäle, die von der Seite gesehen gleichsam eine Reihe bilden. Brücken voller Touristengrüppchen und dann plötzlich völlig menschenleere, als würden sie nur auf uns warten. Nur die Blumentöpfe vor den Fenstern zeugen von menschlichem Leben in den Palazzi, doch momentan spielt sich das dort höchstens in nächtlichen Träumen ab, morgen müssen die Venezianer schließlich wieder zur Arbeit gehen.
»Jutta, bitte … wir kommen zu spät!«
Verärgert zieht sie sich die Schuhe aus. Noch ein paar Schritte, und wir sind da, ich sehe, wie der Gondoliere uns mit einer elektrischen Taschenlampe den Weg leuchtet.
Wir sind völlig verschwitzt und im wahrsten Sinne des Wortes erledigt. Mit uns fährt ein sympathisches, aber reichlich angeheitertes schwules Paar. Die Fahrt in der Gondel mit Musikbegleitung dauert 35 Minuten, aber weil wir uns so abgehetzt haben und außerdem müde von der Anreise sind, fürchte ich schon, dass wir sie kein bisschen genießen können.
»Danke, Amore ! Ach, Venedig, die Gondel … wie romantisch!«, sagt Jutta jetzt aber.
Der Gondoliere spult sein übliches Repertoire ab, hauptsächlich venezianische Lieder. Jutta, die wie alle Ausländer glaubt, jeder Italiener sei ein fröhlich schmetternder Operntenor, äußert als Einzige einen Sonderwunsch.
» Nessun dorma … bitte.«
Der Gondoliere heißt Bruno wie ich, und von ihm erfahren wir einiges Neue über Venedig. Zum Beispiel, dass Casanova zwei Meter groß war, dass das Gebäude, an dem wir gerade vorbeikommen, der Familie Polo gehört, den Nachfahren des berühmten Marco Polo, und heute eine Schule ist. Als wir eine Werft passieren, in der Gondeln gebaut werden, erzählt er, dass es davon 425 in Venedig gibt. »Meine Gondel hat 55
000 Euro gekostet, weil sie über eine ganz besondere Ausstattung verfügt, sie eignet sich nämlich auch für Hochzeiten.« Gut angelegtes Geld, bedenkt man, dass er uns für die nächtliche Tour pro Kopf achtzig Euro abknöpft!
Am Ende der Fahrt werden wir an der Gondelanlegestelle Campo Santa Maria del Giglio abgesetzt. Zum Abschied stimmen unsere betrunkenen Mitfahrer im Chor die von Jutta gewünschte Arie aus Turandot an:
Nessun dorma! Nessun dorma!
Tu pure, o Principessa,
nella tua fredda stanza
guardi le stelle
che tremano d’amore e di speranza …
Jutta ist wieder in diese verfluchten Schuhe geschlüpft (warum habe ich ihr die bloß geschenkt!). Endlich kommen wir zu dem renommierten Restaurant, wo ein romantisches Dinner bei Kerzenschein auf uns wartet und um Mitternacht die große Überraschung: eine Torte mit einem Bukett aus neun roten Rosen und dreißig weiß blühenden Jasminzweigen.
Mit dem Menschen, den man liebt, fein essen zu gehen und in einem Restaurant zu feiern ist immer ein romantisches Erlebnis. Um einiges mehr noch in Venedig. Aber wissen Sie, was als Einziges nicht gerade vergnüglich ist? Die Rechnung. Also, wenn ich kurz mal überschlage, dass mein Geburtstagskind nur eine Stockfischmousse zu 22 Euro und ein Risi e bisi zu 15 Eurogegessen hat und ich »nur« eine große Platte Austern zu 60 Euro (»Das sind echte Belon-Austern!«, hatte der Maître gesagt) und dass wir zusammen wohl fast zwei Flaschen Pinot Grigio Brunner 2009 getrunken haben müssen, 24 Euro das Stück (»Ein aromatischer Wein mit fruchtigen Noten«, wieder der Maître und Sommelier) und schließlich noch die kunstvolle Torte … dann kann mit der Rechnung trotzdem etwas nicht stimmen. Also erstens: Von den aufgeführten Stockfischfrikadellen, die wir zusätzlich zu Juttas Stockfischmousse bekommen haben sollen, haben wir nichts gesehen. Zweitens: Plötzlich ist der Pinot Grigio kein einheimischer Brunner, sondern ein Ruländer aus Österreich, der beinahe das Doppelte kostet.
»Entschuldigen Sie, aber ich hatte Ihnen auf der Karte einen Brunner 2009
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