Die italienischen Momente im Leben
dieses unter freiem Himmel aufgeführte Schauspiel mit zahlreichen romantischen Verwicklungen aufwarten wird. Es handelt sich hier weder um Improvisationstheater, noch fühlt man sich wie bei einer Laienspielschar: Die Dorfbewohner, die die Truppe Teatro Povero di Monticchiello gegründet haben, sind inzwischen erfahrene Darsteller. Die Proben für das Stück, das wie immer im Dialekt des Orciatals gehalten ist, sind lang und hart, seine Texte nehmen Bezug auf Geschichten, Anekdoten, persönliche Erinnerungen und werden alle von dem Regisseur überarbeitet und umgeschrieben.
»Die Grundidee haben wir zusammen mit dem Pfarrer entwickelt. Wir wollten die Öffentlichkeit auf die dramatische Situation eines Ortes aufmerksam machen, der innerhalb von wenigen Jahren von 500 auf 250 Einwohner geschrumpft ist und kurz vor der kompletten Entvölkerung stand.«
Im Laufe der Zeit hat Monticchiello durch sein Theater nicht nur eine asphaltierte Straße bekommen und die notwendigsten öffentlichen Dienstleistungen aufrechterhalten können, sondern entwickelte sich zu einem der reichsten und gepflegtesten Dörfer Italiens. Man erkennt das an den geschmackvoll restaurierten Häusern, gepflegten Blumenbeeten entlang den blitzsauberen Straßen, gemütlichen, typischen Restaurants (darunter eine sehr urige Taverne, die nur für die Zeit der Aufführungen in einem Flügel der Kirche eingerichtet wird) und an den edlen Kunsthandwerksbetrieben, in denen nichts von der allgemeinen Globalisierung des Souvenirgeschäfts zu spüren ist.
»Doch es gibt noch genug Probleme, von denen ein Besucher des Ortes nichts mitbekommt, und unser Theater versucht, diese öffentlich zu machen: die Post, die wahrscheinlich schließen muss, die Schulen, die in größere Gemeinden verlegt werden, der Mangel an öffentlichen Verkehrsmitteln, der Massentourismus mit seinen Verlockungen und Verzerrungen der Wirklichkeit, die Rolle der Frauen in der Gesellschaft, Gewalt, psychische Probleme, Drogen. Wir erleben in unserer dörflichen Gemeinschaft im Kleinen die gleichen Probleme wie die gesamte Gesellschaft im großen Kontext, und«, fährt Cresti fort, »außerdem wissen wir nicht, wo wir politisch, sozial und wirtschaftlich stehen in einer Welt, in der die Kleinen nicht mehr zählen.«
Monticchiello war schon zu Zeiten der Etrusker und Römer bekannt, eine imposante Stadtmauer und ein Wachturm erinnern heute noch an seine ruhmreiche Vergangenheit. Seine Blütezeit erlebte es zwischen 1200 bis 1560, als der Ort nach dem Fall der Republik Siena an die Medici ging. Man betritt ihn durch ein beeindruckendes Tor in der Stadtmauer, die einmal das ganze Dorf umgab. Der historische Kern ist noch gut erhalten, und gäbe es keine Autos, könnte man glauben, ins Mittelalter zurückgekehrt zu sein. Außer der Pfarrkirche der heiligen Leonhard und Christophorus, ein wunderbares Zeugnis aus Monticchiellos Blütezeit mit ihren zahlreichen Fresken der sienesischen Schule aus dem vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert, verfügt Monticchiello über keine herausragenden Sehenswürdigkeiten. Dennoch geht von dem Ort, hoch oben auf einem Hügel gelegen wie so viele Gemeinden in der Toskana, eine ungewöhnliche Faszination aus. Und das Teatro Povero , das »arme Theater«, ist eng mit dem Leben und der Geschichte seiner Einwohner verknüpft
Wie lebte man früher in Monticchiello? Um eine Antwort auf diese Frage zu bekommen, muss man notwendigerweise auf die Erinnerungen von Zeitzeugen vertrauen. Deshalb interviewe ich die beiden »Senioren« der Schauspieltruppe, die mir gewiss genau erzählen können, wie es zu ihrer Zeit gewesen ist. Und die lässt sich in wenigen Worten zusammenfassen: arbeiten und Opfer bringen. Natürlich gab es nicht die Freizeitmöglichkeiten von heute mit Diskotheken, Kneipen oder Spielsalons, also mussten sich die jungen Leute damals mit einfacheren, aber sicher ursprünglicheren und gesünderen Freuden begnügen.
»Wir feierten Weihnachten«, erzählt Albione (94), »mit Früchtebrot und serpe , unserem typischen Gebäck aus Mandelteig … und nach der Mitternachtsmesse trafen sich alle in der Tenne von Gisa, wo es dann hoch herging, was, Mecacci?«
»Aber sicher doch!«, sagt sein unwesentlich jüngerer Bruder Dino, genannt Mecacci. »Und du warst immer ganz vorn mit dabei. Aber auch an Karneval ging es rund! Für mich war das immer das schönste Fest, da ging man tanzen, aß Schmalzkringel und zahlte es seiner zukünftigen Schwiegermutter heim;
Weitere Kostenlose Bücher