Die italienischen Momente im Leben
und die Contrada gewann schließlich den Palio. So heißt nebenbei bemerkt sowohl das Rennen als auch das Seidenband, mit dem der Sieger ausgezeichnet wird, und das jedes Jahr neu gestaltet wird.
Der Palio von 1945 wurde wegen des soeben beendeten Krieges Friedenspalio genannt, war aber in Wirklichkeit einer der brutalsten: Am Ende rissen die wütenden Bürger der unterlegenen Contrada der Raupe die Siegprämie in Fetzen.
1919 provozierte der Jockey Randellone (der Name passte wirklich gut) ganz offen einen anderen namens Bubbolo: Die beiden stiegen ab und begannen, sich zu prügeln, was in einegewaltige Massenschlägerei zwischen den Contraden Selva (Wald) und Tartuca (Schildkröte) ausartete, sodass sogar das Rennen verschoben werden musste. Die Gemüter blieben allerdings weiterhin erhitzt, und als das Rennen schließlich stattfand, wurde Bubbolo niedergestochen, was ihn jedoch nicht daran hinderte, im nächsten Jahr wieder anzutreten.
1901 ließ sich der Jockey Fiammifero nach entsprechenden einträglichen Vereinbarungen mit anderen Contraden absichtlich vom Pferd fallen, damit wurde die bis dahin führende »Schnecke« ausgebremst und verlor schließlich im Palio. Die aufgebrachte Menge hätte ihn beinahe gelyncht, wenn er sich nicht zu den Carabinieri geflüchtet hätte, allerdings wurde er auf Lebenszeit disqualifiziert.
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Heute, am 31. März 2008, also gut drei Monate vor dem eigentlichen Rennen, sind alle contradoioli auf den Platz gekommen. Also nicht nur die zweitausend Statisten und diejenigen, die ihre Terrassen und Dächer für die Dreharbeiten zur Verfügung gestellt haben, sondern auch alle Einwohner der Viertel, in denen gefilmt wird.
»Ruhe, bitte! Und action !«
Die erste Szene. Daniel Craig klettert mit steinerner Miene auf ein Dach, um sich von dort auf einen fahrenden Bus fallen zu lassen. Ich habe solche Szenen schon oft im Film gesehen, aber noch nie live.
Während der Szene rutscht Craig auf den Ziegeln aus. Was für ein Schreck! Die Sicherungen am Klettergurt sind gerissen. » Cut !«, ruft der Regisseur. »Noch einmal von vorn!« Trotz des schlimmen Sturzes hat Craig nicht das Bewusstsein verloren, er lächelt sogar.
Doch da erkenne ich unter einem Sonnenschirm noch einen Craig, der genauso aussieht wie der andere und auf einem Drehstuhl sitzt. Wie ist das möglich? Hinten aus der Gasse höre ich jemanden kommen, der stark amerikanischen Slang spricht. Der Craig, der gerade vom Dach gefallen ist, nähert sich: groß, blond, sportlich und breit grinsend. Sobald er am Sonnenschirm angekommen ist, lächeln die beiden Daniels einander an. Verblüffend. Sie gleichen sich wie ein Ei dem anderen. Sie haben den gleichen Herrenausstatter (Tom Ford), tragen dieselbe Uhr (Omega) und fahren dasselbe Auto (Aston Martin DBS ). Der eine allerdings macht waghalsige Stunts, riskiert Knochenbrüche, geht keiner Schießerei aus dem Weg und bleibt doch ein berühmter Unbekannter, während der andere nur dann vor die Kamera tritt, wenn es nicht um Action geht, und trotzdem kassiert er den ganzen Ruhm. Der echte Craig gibt Autogramme, der falsche legt den Klettergurt ab. Die contradoioli murren und ich mit ihnen:
»Gebt uns Sean Connery zurück!«
21.
MONTICCHIELLO
2004
Für einen meiner regelmäßigen Beiträge fürs staatliche Fernsehen RAI bin ich heute nach Monticchiello gekommen, ein kleines mittelalterliches Dorf (ungefähr 250 Seelen) in der Provinz Siena. Der Hauptplatz bildet eine wunderbare Theaterkulisse: Sechzig Darsteller, allesamt Einwohner des Dorfes, spielen hier die Freuden und Leiden ihres Alltagslebens nach. Heute Abend ist die Vorstellung wieder ausverkauft.
»Unsere Arbeit ist wirklich ein Gemeinschaftswerk wie bei einem Chor«, erklärt der Regisseur Andrea Cresti, der auch für Texte, Bühnenbild und Musik verantwortlich zeichnet, vor der Kamera. »Wir treffen uns schon zu Herbstbeginn, um grundlegende Dinge für die Aufführungen im darauffolgenden Sommer zu besprechen. Jeder, der will, kann daran teilnehmen. Wir reden zunächst in lockerer Runde, bis sich ein interessantes Thema abzeichnet, das wir dann weiterentwickeln.«
Dieses Jahr wird Fola 2004 aufgeführt, eine moderne Version der berühmten mittelalterlichen Novelle mit dem Titel La fola di Campriano , ein Stück, das in seinen Verwicklungen sehr an Boccaccios Dekameron erinnert. Wer weiß, dass fola in der Toskana sowohl Märchen als auch Lüge und Betrug bedeutet, wird sich leicht vorstellen können, dass
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