Die italienischen Momente im Leben
an ihren Parisurlaub wieder genießen. Doch zu mir sagt sie keinen Ton. Ihre Freundin flüstert ihr etwas ins Ohr, aber ich höre es trotzdem:
»Ich glaube, du solltest diesem Herrn dort danken.«
»Ach ja ... VIELEN DANK, SIGNORE! «
»Gern geschehen.«
Fast hundert Kilometer hat sie gebraucht, um sich ein Danke abzuringen und dabei musste ihr auch noch jemand auf die Sprünge helfen. Wehmütig erinnere ich mich an den kleinen Dieb mit den Koteletten und dem kaum größeren Verstand. Ich hoffe, er wird sich Weihnachten wenigstens einen Panettone mit dem wachhabenden Polizeibeamten teilen. Stumm bitte ich ihn um Verzeihung, bevor ich in Bologna aussteige.
Dann rufe ich Chiara an, um ihr zu sagen, dass ich angekommen bin.
»Wo treffen wir uns?«
»Am angolo dei cretini. «
29.
ERICE | SAN VITO LO CAPO
2007
Erinnern Sie sich noch an die Wahrsagerin, die, anstatt aus den Karten zu lesen, nur noch Augen für die leckeren cannoli hatte? Ganz egal, ob im Norden oder im Süden, von der Lombardei bis Sizilien, wir Italiener sind kulinarischen Genüssen sehr zugetan. Anscheinend schätzen wir unsere lokalen Spezialitäten nicht nur, weil sie einfach köstlich sind, sondern weil wir einigen von ihnen besondere Eigenschaften, sprich eine erotisierende Wirkung, zuschreiben. Erst kürzlich wurden bei einer repräsentativen Meinungsumfrage zu dem Thema, welche regionale Köstlichkeit man bei einem romantischen Dinner servieren sollte, die sizilianischen cannoli zum »erotischsten Gericht der italienischen Küche« gewählt.
Sieht man also in den cannoli , diesen knusprigen Teigrollen mit der zart schmelzenden Ricottafüllung, die Krönung eines romantischen Essens, dann gibt es unter den herzhaften Gerichten zwei, die sich den Platz als Thronanwärter streitig machen: Röhrennudeln all’Amatriciana mit Speck, Tomaten, Öl und Chilischoten und caciucco , diese schmackhafte Fisch- und Meeresfrüchtesuppe mit Petersilie aus Livorno. In der Umfrage nach dem Verführungspotenzial landeten diese beiden ganz weit vorne, ihnen folgen die Spaghetti nach Norcia-Art mit ihrem unverwechselbaren Aroma von schwarzen Trüffeln. Sollte es eine andere Süßspeise sein, so kann man mit dem babà alcioccolato nach einem neapolitanischen Rezept immer punkten. Wegen der angeblich aphrodisierenden Wirkung von Safran wurde aus der norditalienischen Küche der berühmte Risotto alla Milanese in die Liste aufgenommen, dann aus dem Piemont der Rinderschmorbraten in Barolo, aus Südtirol der Rehbraten in Heidelbeersoße und die berühmten Tortellini aus Mantua mit der süßen Füllung aus Kürbis und zerkrümelten Amarettokeksen, verfeinert mit Senffrüchten und Muskatnuss. Schließlich wurden noch das Gulasch aus Triest genannt, aus den Marken die lumache in porchetta , ein herzhaftes Schneckenschmorgericht, und marinierte Sardinen, typisch für den gesamten Süden Italiens. In jeder Region des Stiefels scheint es also Gerichte zu geben, die laut den befragten Personen eine äußerst befriedigende Verbindung von Eros und Genuss eingehen. Selbst wenn ich jetzt an dieser Stelle alle Schlemmer und Leckermäuler, ob sie nun verliebt sein mögen oder nicht, darauf hinweisen möchte, dass es am Ende doch nur die romantische Stimmung ist, die die Sinne beflügelt ...
Schon als Kind waren die cannoli mit Cremefüllung eine wichtige Etappe in meiner Leidenschaft für Süßes, die sich mit den Jahren zum Glück ein wenig gelegt hat. Diese Gebäckrollen sahen aus wie die riesigen Finger von dicken Feen, und beinahe unwiderstehlich war die Versuchung, sich diese Finger über die eigenen zu stülpen und damit herumzuspielen, nachdem man die gelbliche Cremefüllung herausgesaugt hatte … Meine Kinderfrau hieß Nunziatina und war Sizilianerin. Ehrlich gesagt hat Nunziatina so gut wie nichts gegessen, meine Mutter hielt sie schon für magersüchtig. Aber jeden Samstag, wenn sie in die Pasticceria ging, um das Gebäck für unseren Nachtisch am Sonntag zu kaufen, erstand sie für sich stets ein leckeres cannolo mit Ricottafüllung und verspeiste es auf der Stelle mit großem Genuss.
Das Auto meines Freundes Sasà quält sich mühsam die sonnenbeschienene kurvige Straße hinauf. Es ist ein alter kobaltblauerFiat 128. Der Motor jammert ohne Unterlass, und wenn wir uns einer Kurve nähern, stößt er beängstigende hohe Laute aus. Wir haben Trapani vor einer halben Stunde hinter uns gelassen und fahren an der Westküste Siziliens entlang Richtung
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