Die Jaeger der Nacht
schleudere ihn gegen das Fenster.
Er prallt hilflos zurück wie ein Pingpongball. Ich drehe mich um auf der Suche nach einem anderen Ausgang. Es gibt keinen.
Auf jedem Monitor sieht man jetzt verschwommenes Getümmel, das kollektive Tier ist erwacht. Mit einer Ausnahme in der dritten Reihe rechts. Der Bildschirm fällt mir ins Auge nicht wegen der Aktivität, sondern der Nicht-Aktivität, die er zeigt. Eine einsame Gestalt steht leicht vorgebeugt und schreibt etwas.
Es ist Ashley June. Ich bin erleichtert und eigenartig stolz: Sie ist entkommen. Den Pfannen und Töpfen nach zu urteilen, die hinter ihr hängen, muss sie in der Küche sein. Dann hebt sie plötzlich den Kopf, als hätte sie etwas gehört. Ich höre es auch. Ein Schrei, der einem das Blut gefrieren lässt und die Mauern des Gebäudes erschüttert. Ashley June zögert, beugt sich vor und schreibt weiter. Dann hält sie inne, hebt den Kopf, und ihr Mund klappt auf.
Sie hat irgendetwas erkannt. Ihr ist ein Licht aufgegangen. Sie beugt sich erneut vornüber und ihre Hand huscht hektisch über das Blatt.
Lautes Schreien und Stöhnen hallt im gesamten Gebäude wider.
Sie zögert, verzieht unentschlossen das Gesicht, schüttelt den Kopf, wirft wütend den Stift beiseite und faltet hastig den Zettel. Sie rennt zu einer Klappe in der Wand, öffnet sie und legt den Zettel hinein. Der Ofen? Dann drückt sie auf einen großen Knopf. Ein Licht geht an und scheint von unten auf ihr Gesicht. Tränen strömen über ihre Wangen. Wieder hebt sie den Kopf und Entsetzen breitet sich auf ihrer Miene aus. Sie hört es. Das begehrliche Heulen, das nach oben steigt. Zu mir.
BUM ! Das war der bisher lauteste Knall. Er hinterlässt eine Beule in der Tür. Die obere Angel hängt schräg, wie ein gebrochener Knochen. Die Tür wird nur noch wenigen Stößen standhalten.
So werde ich sterben, beschließe ich. Mit dem Rücken zur Tür, wenn sie nachgibt, den Blick fest auf das Bild von Ashley June auf dem Monitor gerichtet. Das soll das Letzte sein, was ich sehe. Mein Tod wird hoffentlich schnell eintreten und mein letzter Blick und Gedanke Ashley June gelten.
Plötzlich tut sie etwas Seltsames. Sie nimmt ein Messer mit einer langen gebogenen Klinge aus seiner Halterung, legt die Spitze in ihre offene Hand und drückt, ehe ich verstehe, was sie tut, fest zu.
Ihr Mund öffnet sich zu einem Schmerzensschrei. Dann begreife ich es. Und ich schreie: »Ashley June!«
Sie lässt das Messer fallen und rennt weg.
Bum! Die Tür hinter mir beult sich weiter nach innen, hält jedoch stand. So gerade eben. Mit dem nächsten Stoß wird sie nachgeben.
Im selben Moment ertönt auf der anderen Seite ein fiebriges Jaulen und ich höre das Scharren von Nägeln auf dem Boden, an den Wänden und der Decke. Sie entfernen sich. Dann ist es still. Sie sind alle weg.
Ich blicke zum Monitor und sehe Ashley June mit wehendem Haar die Treppe hinunterrennen. Sie springt von Absatz zu Absatz, nach jeder Landung schon zum nächsten Sprung bereit, immer weiter nach unten.
Auf den Monitoren sehe ich eine Horde von Leuten, die in einem Massensturm die Stufen hinunterstürzen.
Auf der Jagd nach dem Blut und Fleisch eines jungfräuliche weiblichen Hepra.
Sie bewegen sich wie ein Mann, grimmig und wortlos, in erstaunlichem Tempo, das auf den Monitoren nur noch als verschwommene Bewegung auszumachen ist. Und die Schwerkraft beschleunigt ihren Sturz den Treppenschacht hinab wie ein schwarzer Regen.
Mit panischem Gesicht rennt Ashley June weiter. Nach jeder Landung fasst sie mit der linken Hand das Geländer, reißt ihren Körper herum und setzt zum Sprung auf den nächsten Absatz an.
Der schwarze Regen fällt weiter und kommt immer näher.
Schließlich hat sie das unterste Geschoss erreicht. Ihr Gesicht ist gerötet, auf ihrem Kleid zeichnet sich ein dunkler Schweißrand um ihren Hals ab, feuchte Strähnen kleben in ihrem Gesicht, als sie auf die Tür zur Introduktion zustürzt.
Dann landen die anderen hinter ihr, ein bösartiger schwarzer Wasserfall, der Gischt brodelnd durch den engen Flur schießt. Direkt auf sie zu.
Sie zwängt sich durch einen sich wundersamerweise auftuenden Türspalt. Keine Sekunde später springen ein Dutzend Verfolger auf die Stelle, wo sie eben noch gestanden hat. Ihre schiere Masse blockiert den Weg, sodass kein Einzelner durch die Tür schlüpfen kann. Sie hat Zeit gewonnen, vielleicht noch ein paar Sekunden Leben mehr.
Ich blicke auf einen anderen Monitor. Jetzt erkenne
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