Die Jaeger der Nacht
eingesperrten Jäger schlaflos und schmerzhaft sein wird.
»Träumt schön, ihr Tiere!«, rufe ich und wende mich zum Gehen.
Aber dann höre ich eine Stimme, die brüchig und heiser vor Wut durch die leeren dunklen Flure hallt wie ranzige Galle durch eine Kehle. Hagermann. »Du glaubst, du entwischst uns?«, brüllt er aus der Dunkelheit der Bibliothek. »Du glaubst, du hättest uns geschlagen, du blödes Hepra? Du denkst, du wärst clever? Hey, du schwitzendes, stinkendes, singendes Hepra! Wir fangen gerade erst an! Lauf lieber schnell los! Hast du gehört? Denn wenn der Abend dämmert, beginnt die Jagd. Und dann schwärmen wir aus und bringen dich zur Strecke. Hörst du mich? Du bist zu einer Jagd hierhergekommen? Nun, dann kriegst du deine Jagd! Verstanden? Du kriegst deine Jagd! «
Im Hauptgebäude schlafen noch alle. Meine Schritte hallen durch die dunklen leeren Flure. Ich komme am Festsaal vorbei, wo es aussieht wie in einer Fledermaushöhle. Eine Traube von Leuten hängt schlafend an dem Kronleuchter, ihre dunklen baumelnden Silhouetten wie faulige Klumpen von Haar in einem Siphon. An den seitlichen Luftschächten hängt eine Gruppe Reporter, die Kameras um ihren Hals berühren beinahe den Boden.
Ashley June reagiert nicht auf mein Klopfen. Ich öffne ihre Zimmertür. Der Raum ist leer. Sie ist oben im Kontrollzentrum, wie sie gesagt hat. Sie steht vor den Monitoren und lässt den Blick hin und her wandern.
»Hey«, sage ich beim Hereinkommen leise, um sie nicht zu erschrecken. Die Sonne fällt schräg durchs Fenster und taucht den rundum verglasten Raum in helles Licht. Ich gehe zu ihr.
»Selber hey. Du solltest schlafen.« Sie dreht sich um. »Ich glaube, ich habe das ideale Versteck gef…«
»Ashley June.«
»Was ist los?« Sie sieht den Ausdruck und das Blut in meinem Gesicht.
Ich schüttele den Kopf.
»Gene, was ist los?!«
»Es tut mir leid.«
Sie blickt mir tief in die Augen. »Sag mir, was los ist, Gene.«
»Etwas wirklich Furchtbares ist passiert.«
Sie legt eine Hand auf meinen Arm. »Was?«
»Für mich ist es vorbei.«
»Was soll das heißen?«
Ich erkläre es ihr. Die Jäger in der Bibliothek, der Sonnenstrahl, meine Entlarvung. Entsetzen breitet sich in ihrem Gesicht aus. »Es ist vorbei«, sage ich. »Sie sind hinter mir her. Sobald die Sonne untergeht, werden sie mich erledigen.«
Sie steht auf und geht ein paar Schritte, den Kopf gesenkt, tief in Gedanken. »Wir haben die FLUN s. Wir können zurück in die Bibliothek gehen und sie auslöschen.«
»Ashley …«
»Nein, hör zu, wir können es schaffen. Außer den Jägern in der Bibliothek kennt niemand die Wahrheit über dich.«
»Ashley …«
»Wenn wir sie ausschalten, wird niemand etwas erfahren, dein Geheimnis bleibt sicher.«
»Das ist eine Selbstmordmission …«
»Wir haben die FLUN s …«
»Wir haben noch einen FLUN , den anderen hab ich verbraucht. Und der eine ist irgendwo in der Bibliothek vergraben, keine Ahnung wo. Sie sind in der Überzahl, sie sind schneller, sie haben Krallen, Reißzähne …«
»Wir werden ihn finden und auf die höchste Schusskraft einstellen, er ist tödlich …«
»Wir werden ihn nicht finden!«
»Wir können …«
»Ashley …«
»Was!«, schreit sie und ihre Stimme bricht. »Was soll ich denn sagen, was für eine Wahl haben wir sonst?« Sie beginnt hemmungslos zu schluchzen.
Ich nehme sie in die Arme. Ihr Körper ist kalt, sie zittert. »Wir müssen es versuchen, wir müssen weiter nach einer Lösung suchen«, drängt sie.
»Es ist vorbei. Wir haben unser Bestes gegeben. Aber jetzt kann man nichts mehr machen.«
»Nein! Das will ich einfach nicht glauben!« Mit einem Schrei löst sie sich aus meiner Umarmung und ballt die Fäuste. Dann wird ihr Atem gleichmäßiger, ihr Körper vollkommen still. So still wie eine Person, die eine Entscheidung getroffen hat.
»Wir können uns ein Leben unter der Kuppel aufbauen«, sagt sie leise, nach wie vor mit dem Rücken zu mir, den Blick noch immer aus dem Fenster gerichtet.
»Was?«
»Die Kuppel. Wir werden überleben, genau wie die Hepra es seit Jahren getan haben.«
»Niemals. Ich kann nicht glauben …«
»Es wird funktionieren. Die Kuppel wird komplett automatisch gesteuert. Sie erhebt sich bei Anbruch der Dämmerung und senkt sich mit der Morgenröte. Sie wird uns immer schützen.«
Ich starre auf ihren Rücken. Ich halte es nicht aus, diesen Rücken zu sehen. Ich gehe zu ihr, fasse ihre Arme und drehe sie
Weitere Kostenlose Bücher