Die Jaeger der Nacht
beinahe überrascht blinzeln.
Offensichtlich sind sie, in dem Glauben, dass ich mich immer noch im Kontrollzentrum aufhalte, am Erdgeschoss vorbeigestürmt. Ich bin sicher, ich werde es …
Ein knallendes Poltern, und sie stürzen aus der Tür zum Treppenschacht ins Erdgeschoss und den Flur hinunter auf mich zu, schnell, voller Begehren und jetzt auch Panik, dass sie mich an die Sonne draußen verlieren könnten. Ein dunkles Meer, eine auflaufende Flut schwarzer Säure.
Meine Füße versinken in dem weichen, luxuriösen Teppich im Foyer. Ich wende mich nach links. Da. Die Doppeltür am Eingang, eingefasst in einen schmalen Rahmen aus Tageslicht. Noch zwanzig Meter bis zur Freiheit! Ich sprinte los, obwohl jedes letzte bisschen Energie längst verpufft ist, und komme sogar irgendwie auf Touren.
Hinter mir der geistesgestörte Chor, das Scharren von Nägeln auf Marmor, ein Huschen und Rutschen.
Irgendwas greift nach meinem Knöchel.
Es ist merkwürdig substanzlos, aber fest und kräftig genug, um zuzupacken und mich zu Fall zu bringen.
Mucki. Oder das, was von ihm übrig ist. Er klammert sich an meinen Knöchel und robbt heran, den Mund zu einem Zischen geöffnet.
Ich trete nach ihm, doch sein Griff wird fester. »Gah!«, rufe ich. »Gah!« Ich trete mit dem anderen Fuß zu, verfehle seine Hände, erwische jedoch seinen Kopf und komme wieder auf die Beine. Meine Hand schießt zur Klinke und ich stoße die Türflügel auf. Die Helligkeit ist blendend, aber ich bleibe nicht stehen. Nicht mit den wütenden und frustrierten Schreien in meinem Rücken. Ich kann kaum sehen, wohin ich meine Füße setze, bin nur wild entschlossen, möglichst schnell möglichst weit von der Tür wegzukommen. Selbst als ich weiß, dass ich in Sicherheit bin, laufe ich weiter und rufe die ganze Zeit »Gah! Gah! Gah!« , nicht sicher, ob es Schreie der Wut, des Triumphs, der Niederlage, Liebe oder Angst sind. Ich rufe es nur einfach wieder und wieder, bis ich nicht mehr schreie, sondern schluchze, nicht mehr renne, sondern erschöpft mit dem Gesicht im Staub liege und mit beiden Händen in den Sand greife, Sand in der Nase, Sand im Mund und in der Kehle. Die einzigen Geräusche sind mein hechelnder Atem und mein abgerissenes Schluchzen, und meine Tränen tropfen in den Sand, gebadet im wunderbaren, schmerzhaften, blendenden Tageslicht.
Kraft- und empfindungslos rappele ich mich hoch und schleppe mich zur Kuppel. Meine Knochen klappern immer noch von den Stößen, die sie bei den Sprüngen im Treppenhaus abgekriegt haben. Ich begutachte meine Knöchel: keine Schwellungen und, was noch wichtiger ist, keine Kratzer an meinem linken Fußgelenk, das Mucki gepackt hatte. Es ist völlig still, man hört nicht einmal das Heulen des Windes. Ich mache einen großen Bogen um die Bibliothek. Zwar habe ich keine allzu großen Sorgen, dass ein zweiter Jäger einen Ausfall wagen könnte, zumal der Sonnenumhang nicht mehr zur Verfügung steht, aber ich möchte lieber kein Risiko eingehen. Mir ist, als würde ich von drinnen ein feuchtes Zischen hören, das jedoch immer leiser wird, je näher ich der Kuppel komme.
In dem Hepra-Dorf ist alles still.
»Hey!« Schweigen. »Hey!«
Ich betrete eine der Lehmhütten. Leer, wie vermutet. Und die nächste Hütte genauso. Staubflocken treiben im Sonnenlicht.
Wohin ich auch gehe, es ist überall das Gleiche. Leer. Kein Hepra in Sicht. Nicht im Gemüsegarten, nicht unter den Apfelbäumen, nicht auf dem Trainingsgelände und auch in keiner der Hütten.
Sie sind weg. Soweit ich erkennen kann, sind sie hastig aufgebrochen. Ihr Frühstück steht halb gegessen im Speiseraum, angeknabberte Brotscheiben und halb volle Gläser mit Milch. Ich lasse meinen Blick über die Ebene schweifen und halte nach einem sich bewegenden Punkt oder einer Staubwolke Ausschau, aber sie sind nirgends zu sehen.
Der Teich bietet die Gnade, die ich brauche: Wasser. Und Raum und Sonne und Stille. Ich trinke lange, lege mich dann neben den Teich und lasse den rechten Arm und das rechte Bein ins Wasser hängen. In wenigen Stunden werden die Wände der verwaisten Kuppel hochgefahren. Ein neuer Bewohner wird seinen Platz eingenommen haben – nein, kein Bewohner, ein Gefangener. Denn so wird es sich anfühlen, allein hinter diesen Glaswänden zu leben. Ein Gefangener, so sicher, wie Ashley June Gefangene in der Grube in den dunklen Tiefen der Erde ist.
Wie lange kann sie dort unten durchhalten? Das alte Hepra-Männchen, das dort lebte, hatte
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