Die Jaeger der Nacht
ich mich morgen mit gespielter Wut beschwere, werden sich die Institutsmitarbeiter das Loch ansehen, bevor sie es versiegeln. Und das wird Fragen über meinen ersten Schlaftag aufwerfen – warum habe ich mich nicht gleich nach dem ersten Tag beschwert? Wenn ich jedoch nichts sage und das Ganze wirklich eine Falle ist, bin ich geliefert.
Dann macht es »klick« in meinem Kopf: Vielleicht ist der Strahl nur der Nebeneffekt von etwas Wichtigerem. Vielleicht ist das Loch – und nicht der Strahl – in Wahrheit der Schlüssel zu dem ganzen Rätsel. Ich betrachte es noch intensiver, jeden Kratzer darum herum, den Abstand zum Boden und den schmalen Durchmesser.
Natürlich! Es hat die perfekte Größe! Um hindurchzuschauen.
Aber als ich durch das Loch gucke – das Licht draußen ist blendend hell –, sehe ich nichts. Nur die monotone Öde von das Weite, die sich endlos vor meinem Auge erstreckt, gebleicht von der sengenden Sonne. Nicht mal die Kuppel ist auszumachen. Nur Staub und Dreck und Sand und Licht, das ist alles. Es gibt nichts zu sehen.
Die nächste Stunde laufe ich hin und her, betrachte den Sonnenstrahl, spähe durch das Loch, aber es ist sinnlos. Ich begreife es nicht. Dabei macht es mich fertig, dass ich das Gefühl habe, ganz dicht dran zu sein, förmlich auf die Antwort zu starren. Irgendwann setze ich mich, meine schmerzenden Füße sind platt gelaufen. Ich schließe die Augen, um mich zu konzentrieren; und als ich sie einige Stunden später wieder öffne, ist der Sonnenstrahl verschwunden, die Läden haben sich geöffnet, und jemand pocht an die Tür. Der Abend dämmert.
DRITTLETZTE NACHT VOR DER JAGD
»Man geht davon aus, dass Hepra auf der Leiter der Evolution irgendwo zwischen fünf- und zehntausend Jahren hinter uns stehen.« Die Stimme des Direktors weht mit nüchterner Sachlichkeit vom Rednerpult. »Auf jeden Fall zeigen Hepra primitive Verhaltenszüge, die unsere Vorfahren bereits vor vielen Jahrhunderten abgelegt haben. Man denke etwa an ihre außergewöhnliche Schwimmfertigkeit. Das ist ein Hinweis auf ihre noch nicht allzu weit zurückliegenden amphibischen Ursprünge, als sie noch im Meer lebten, aus dem alles Leben entstanden ist. Ihre fischartige Fähigkeit, sich im Wasser zu bewegen, bezeugt den Mangel an Evolutionsfortschritt von jenem Urzustand. Man denke auch an ihre tierische Fähigkeit, Sonnenstrahlen auszuhalten. Sie ist ein Überbleibsel aus der Prä-Höhlen-Ära, als es über Land ziehenden Tieren noch an der Intelligenz mangelte, Schutz in Höhlen zu suchen. Deshalb entwickelten sie eine Widerstandsfähigkeit gegenüber der Sonne, wobei das auch die Weiterentwicklung des Gehirns hemmte. Wirklich eine Schande.«
Seine Worte treiben auf mich zu wie Seetang in einem trüben Gewässer. Ich sitze ziemlich weit hinten in dem Vorlesungssaal, so weit wie möglich von allen anderen entfernt. Ich habe mich eilig umgezogen (während mein Begleiter unentwegt an die Tür hämmerte), doch ich mache mir Sorgen wegen des Geruchs. Bisher scheint niemand etwas gewittert zu haben – alle sitzen ruhig da, keiner zuckt. Ich habe das Frühstück, die Vorlesungen am frühen Abend, eine Tour über das Gelände und das gemeinsame Essen überstanden, ohne dass jemand etwas bemerkt hat. Links hinter dem Rednerpult steht zum Glück ein Fenster offen, sodass eine stete Brise hereinweht und den Geruch vertreibt. Hoffe ich jedenfalls.
»Ihre Mimik – so schlüpfrig von zügellosen und ungehemmten Gefühlen – ist ein Relikt der sogenannten prä-linguistischen, der vorsprachlichen Ära, in der Gestik und Mimik als eine Art Zeichensprache dienten. Nächstes Dia.«
Das Foto zeigt die behaarten Beine eines männlichen Hepra. Alle beugen sich geifernd vor.
»Ein erhaltenes genetisches Fundstück aus einer Ära vor der Entdeckung des Feuers. Ohne die Fähigkeit, Feuer zu machen, waren Haare der einzige Schutz gegen die Kälte. Führende Wissenschaftler haben behauptet, dass dieser Beweis für Körperbehaarung sogar bis vor die Steinzeit zurückreicht, in der die Primitiven schon in der Lage gewesen sein müssten, einfache Waffen zur Jagd herzustellen und das Fell der erbeuteten Tiere als Kleidung zu benutzen. Ich habe ein Buch zu dem Thema veröffentlicht, in dem ich als Erster in meinem Forschungsbereich diese mittlerweile weithin anerkannte Theorie entwickelt habe. Nächstes Dia.«
Das Foto eines Hepra, das eine Frucht mit roter Schale und gelblichem Fleisch isst. Einige Köpfe zucken
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