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Die Jaeger der Nacht

Die Jaeger der Nacht

Titel: Die Jaeger der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Fukuda
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des Mondes strahlen ihre Augen, ihre Iris schimmert feucht und klar. »Und das ist nicht viel. Ich erzähle ihnen, dass du irgendwie rätselhaft bist, ein Einzelgänger, der meist für sich bleibt. Dass du superschlau bist, auch wenn du es zu verbergen versuchst. Und dass du, obwohl alle Mädchen über dich tuscheln, noch nie mit jemandem ausgegangen bist. Sie fragen mich, ob wir je zusammen waren, und ich sage Nein.«
    Ich schaue sie an. Sie erwidert meinen Blick mit einer Art stiller Verzweiflung, als hätte sie Angst, ich könnte ihn zu schnell wieder abwenden.
    Und plötzlich spüre ich, wie sich die Atmosphäre zwischen uns auflädt. Ich kann es nicht erklären. Es fühlt sich gleichermaßen an wie eine rasende Beschleunigung und eine beruhigende Sanftheit.
    »Ich wünschte, ich könnte ihnen mehr erzählen«, flüstert sie. »Ich wünschte, ich würde dich besser kennen.« Sie lässt sich gegen das Fenster sinken, als würde sie unvermittelt von einem unsichtbaren Gewicht niedergedrückt.
    Es ist diese Haltung, die wie eine Geste der Kapitulation wirkt, die irgendetwas in mir aufbrechen lässt wie Eis, das am ersten Frühlingstag splittert. Ihre blasse Haut leuchtet im Mondlicht wie Alabaster, und in mir regt sich plötzlich der unbändige Drang, über ihre Arme zu streichen und ihre kühle, glasierte Glätte zu spüren.
    Ein paar Minuten lang schauen wir hinaus. Nichts bewegt sich. Ein Streifen Mondlicht fällt auf die Kuppel in der Ferne und lässt sie funkeln, wie von Juwelen besetzt.
    »Wie kommt es, dass wir jetzt zum ersten Mal wirklich miteinander reden?« Sie streicht sich ein paar lose Haarsträhnen hinters Ohr. »So etwas wie heute habe ich mir immer gewünscht, das musst du doch gewusst haben. Ich glaube, schon Hunderte solcher Momente zwischen uns sind ungenützt verstrichen.«
    Unfähig, ihr in die Augen zu sehen, starre ich hinaus. Aber mein Herz schlägt so schnell und heiß wie schon lange nicht mehr.
    »Ich habe in jener verregneten Nacht auf dich gewartet«, sagt sie kaum hörbar. »Am Schultor, fast eine Stunde. Ich war völlig durchnässt. Hast du dich damals durch den Hinterausgang der Schule weggeschlichen? Es ist schon ein paar Jahre her, ich weiß, aber … hast du es vergessen?«
    Ich fixiere die Berge im Osten, weil ich mich nicht traue, sie anzusehen. Ich will ihr sagen, dass ich es nie vergessen habe, dass keine Woche vergeht, in der ich mir nicht ausmale, ich hätte mich anders entschieden. Ich wäre nach dem Klingeln aus meiner Klasse gegangen, hätte sie am Tor getroffen und zu Fuß nach Hause gebracht, Wasser hätte meine Hose durchnässt, wir wären Hand in Hand durch Pfützen geplatscht, einen Schirm über dem Kopf, der gegen den Platzregen auch nichts ausrichten konnte, und pitschnass geworden, doch das hätte uns nicht im Geringsten gestört.
    Aber anstatt etwas zu sagen, höre ich im Kopf die Stimme meines Vaters. Vergiss nie, wer du bist. Und zum ersten Mal begreife ich, was er gemeint hat. Es war bloß eine andere Art, mich zu ermahnen: Vergiss nicht, wer sie sind.
    Ich starre schweigend auf die nächtlichen Sterne, die in verzweifelter Einsamkeit blinken. Sie sind so nah beieinander, diese Cluster von Sternen, deren Licht sich streift und überschneidet, doch ihre Nähe ist eine Illusion, weil sie in Wirklichkeit unerreichbar weit voneinander entfernt sind, getrennt durch tausend Millionen Lichtjahre Leere.
    »Ich glaube, ich weiß nicht … wovon du redest. Tut mir leid.«
    Zunächst reagiert sie nicht. Dann reißt sie plötzlich den Kopf zur Seite, sodass ihr rotbraunes Haar wie ein Schleier vor ihr Gesicht fällt. »Heute Nacht ist es viel zu hell«, sagt sie schneidend und setzt sich eine große ovale Mondbrille auf. »Ich hasse Vollmond.«
    »Lass uns vom Fenster weggehen«, sage ich und wir kehren zurück zu dem Teppich und in Hörweite unserer Begleiter.
    Verlegen stehen wir voreinander. Mein Begleiter macht einen Schritt nach vorn.
    »Wir müssen zurück zur Gruppe. Zeit fürs Dinner.«
    Beim Dinner sind die meisten von uns ziemlich groggy, zu müde, um mehr als eine maue Konversation hinzukriegen. Kein Vergleich zu der Schwatzorgie beim Lunch. Ich mache mir Sorgen wegen meines Körpergeruchs und schnuppere gelegentlich diskret an meinen Achselhöhlen. Ich esse schnell und achte darauf, niemandem zu nahe zu kommen. Hagermann, der neben mir sitzt, zuckt hin und wieder. Er sagt nichts, wendet sich jedoch ein paarmal mit geweiteten Nüstern in meine

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