Die Jaeger der Nacht
langen Tunnel verschwunden.
Schritte nähern sich der Gruppe mit militärischem Zack. Es ist ein Institutsmitarbeiter, sein Gesicht ist scharf geschnitten und ernst. »Deine Anwesenheit wird verlangt«, bellt er und weist mit seinem spitzen Kinn auf Ashley June. »Unverzüglich.«
»Worum geht es?«, fragt sie.
Er ignoriert ihre Frage und wendet sich mir zu. »Und deine auch. Kommt sofort mit.« Er macht kehrt und geht hinaus, ohne sich noch einmal umzusehen.
Irgendwas stimmt nicht, das spüre ich, als wir dem Mann über den gepflasterten Pfad zur Bibliothek folgen. Sein Schritt ist mehr als forsch und drängend. Furcht treibt seine Stiefel vorwärts. Niemand sagt etwas.
Als ich durch die Tür der Bibliothek gehe, fühle ich mich, als würde ich die Höhle des Löwen betreten.
Drinnen spüre ich als Erstes Körper. Jede Menge, an die zwei Dutzend Institutsmitarbeiter und Wachposten, die sich im Foyer drängen. Alle tragen dunkle Brillen und stehen an der Wand stramm.
Nicht die Augen hin und her bewegen. Auf keinen Fall.
Niemand rührt sich. Ich lasse mir Zeit, mich an die Dunkelheit zu gewöhnen, mache lange, tiefe Atemzüge. Es ist kalt hier drinnen.
Das alles verheißt nichts Gutes. Der einzige Lichtstreif am Horizont: Sie wissen es noch nicht. Dass ich ein Hepra bin. Wenn sie es wüssten, würden sie nicht mehr hier stehen. Sie wären über mich hergefallen, sobald ich den Raum betreten hatte.
Ich höre seine Stimme, bevor ich ihn sehe.
»Ich hoffe, die Unterkunft ist zu deiner Zufriedenheit?«, fragt der Direktor ruhig. Er steht in der Mitte des Raumes, direkt neben einem Tisch, seine linke Gesichtshälfte ist von einer Quecksilberlampe beleuchtet, die rechte liegt im Dunkeln. Seine geschmeidige Gestalt, ein unauffälliger Schatten im Raum, ist schmal wie eine Rasierklinge. Sogar die Bücher auf den Regalen scheinen sich ein wenig von ihm wegzulehnen, als er spricht.
»Ja, alles bestens. Vielen Dank.«
Er hebt den Kopf, als würde er einem Vogelschwarm nachsehen, der hastig aufgeflattert ist. »Wir haben uns Sorgen wegen der Größe der Schlafhalter gemacht. Sie wurden nicht persönlich angepasst. Wir bitten um Entschuldigung.«
»Sie haben zufälligerweise perfekt gepasst.«
»Ach, tatsächlich?«
»Ja.«
Er betrachtet mich beiläufig und scheinbar desinteressiert, doch hinter seinem Blick lauert eine wache Kälte. Ohne Vorwarnung macht er einen Satz an die Decke, wirbelt herum und lässt Sekunden später die Schlafhalter über seinen Füßen einrasten. Die Schlafhalter, die ich nie benutzt habe. Sein Körper schwingt träge und kaum merklich hin und her wie das Pendel einer alten Standuhr. Auch kopfüber hängend hat er seinen kühlen Blick nicht von meinem gewendet.
»Erstaunlich, wie anders die Welt aus dieser Position aussieht, wenn alles auf dem Kopf steht. Findest du nicht auch?«
»Ja«, antworte ich.
»Man sieht die Dinge aus einer anderen Perspektive. Deswegen hänge ich jetzt kopfüber und betrachte dich.«
»Herr Direktor?«
»Weil ich versuche, dich in einem anderen Licht zu sehen. Weil ich versuche zu erkennen, was so besonders an dir ist. Weil ich versuche zu verstehen, warum der Palast dich bevorzugt und dir eine Luxusbehandlung zuteilwerden lässt. Denn ich kann an dir einfach nichts finden, das so herausragend ist.« Er verengt die Augen zu einem ausgedehnten trägen Blinzeln.
»Luxusbehandlung?«
»Ah, wir stellen uns dumm, verstehe.«
Ich sage nichts.
»Sieh dich um«, flüstert er, »in dieser großen Bibliothek, die dir ganz allein zur Verfügung steht. Sie ist sogar größer als meine Gemächer! Und du willst mir erzählen, der Palast würde dir keine Luxusbehandlung zuteil werden lassen.« Er lässt sich aus den Schlafhaltern fallen und landet beunruhigend nah neben mir, nur eine Armlänge entfernt.
Ich unterdrücke sofort den Impuls, einen Schritt zurück zu machen.
»Erst vor wenigen Minuten habe ich eine weitere Anweisung des Palastes erhalten, die deine Person betrifft. Noch eine.« Er macht eine Pause, seine Augen funkeln. »Es gibt im Leben kaum etwas, das ich nicht begreife. Aber diese Aufmerksamkeit des Palastes für eine so farblose und durchschnittliche Person wie dich … nun, ich bin offen gestanden ratlos.«
»Ich muss gestehen, dass ich nicht genau weiß, was Sie meinen. Eine weitere Anweisung?«
»Bitte, keine Geständnisse.« Er macht einen Schritt zurück zu einem Lesetisch, streicht mit dem Finger über die Lehne eines Stuhls, zieht ihn
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