Die Jaeger der Nacht
er leiser.
Er wendet mir den Rücken zu und starrt aus dem Fenster. Als er weiterspricht, bin ich überrascht, wie brüchig und hohl seine Stimme klingt. »So war es nicht immer. Früher summten die Flure von eiligen Schritten; in den Seminarräumen drängten sich die klügsten und besten Köpfe des Landes; in den Laboren führten renommierte Wissenschaftler Experimente durch. Und erst die Hepra-Gehege! Sie waren gefüllt mit Dutzenden von Hepra, junge und alte. Unser Zuchtprogramm – mein Zuchtprogramm – zeigte erste Erfolge. Dieser Ort war voller Energie, ein Funken, der sich durch die Räume verbreitete. Wir hatten ein Ziel, Anerkennung, Bewunderung, Respekt, sogar Neider. Wir hatten alles.« Er hält inne, verharrt regungslos, seine Brust so still, als hätte er aufgehört zu atmen. »Alles außer Selbstbeherrschung.«
Dann wendet er sich den Wachposten und Institutsmitarbeitern um uns herum zu und nagelt sie mit eisigem Blick an die Wand wie Motten.
»Bis eines Tages praktisch keine Hepra mehr übrig waren«, fährt er, wieder an mich gewandt, fort. »Dies wird die letzte Hepra-Jagd sein. Der Herrscher weiß das. Doch er ist äußerst unwillig, etwas enden zu lassen, das für ihn bisher ein verlässlicher Beliebtheitsgarant war. Also hat er eine Möglichkeit ersonnen, noch auf Jahre, vielleicht sogar in alle Ewigkeit von dieser Jagd zu profitieren.«
Ashley June hat sich bisher weder bewegt noch einen einzigen Mucks von sich gegeben.
»Ein Buch. Ein Tatsachenbericht über diese Jagd. Die Öffentlichkeit war schon immer vollkommen besessen von der Jagd. Die guten Bürger, die sabbernd jedes Detail der Hepra-Jagd verfolgen, werden das Buch für Jahrzehnte in der Bestsellerliste halten. Und es wird auch kein trockenes journalistisches Werk werden. Nein, es wird vielmehr – und das ist wirklich ein Geniestreich – ein Erlebnisbericht aus erster Hand sein, verfasst von dem Sieger. Dem Sieger dieser Jagd.«
Er streicht sich mit dem Finger über die Wange, auf und ab, auf und ab. »Siehst du jetzt, wie alles zusammenpasst? Begreifst du, warum wir eine Ausbildungsphase haben? Das Galabankett? Die Medienvertreter, die das Institut überschwemmen?«
Und ich begreife es tatsächlich. Plötzlich ergibt alles einen Sinn. »Es ist für das Buch«, flüstere ich. »Um die Jagd zu einem einwöchigen Ereignis in die Länge zu ziehen, um mehr Material für das Buch zu liefern. Um den Einsatz zu erhöhen. Um die Erfahrung der Jagd intensiver zu machen und den Sieg umso begeisternder.«
Der Direktor nickt mir zu.
»Ich meine, allein die Trainingsphase nimmt fünf Kapitel in Anspruch und bietet Gelegenheit, die Figuren der Jäger auszuarbeiten. Die Konkurrenz zwischen uns, die Konflikte, all das wird die Spannung nur anheizen. Es wird die Erwartung steigern bis zu dem Galabankett und dem anschließenden Höhepunkt, der eigentlichen Jagd. Das Buch wird sich praktisch von selbst schreiben.«
Die Augen des Direktors glänzen vor widerwilliger Anerkennung. »Und die FLUN s? Warum werden die Hepra mit FLUN s bewaffnet? Los, los, bis jetzt warst du so gut.«
»Für die Spannung. Nein, es ist mehr als das.« Ich zögere, überlege. »Um die Jagd in die Länge zu ziehen. Denn dies sind die allerletzten lebenden Hepra. Es wäre eine Verschwendung, sie binnen Sekunden zu verschlingen und aussterben zu lassen. Hau rein und weg, verputzt in einem wilden Fressanfall. Das wäre beinahe enttäuschend. Nein, besser ist es, das Erlebnis auszudehnen und die Hepra langsam zu töten, einen nach dem anderen. Ein Kapitel auf drei gestreckt.« Ich unterdrücke den Impuls, die Stirn zu runzeln. »Aber das funktioniert nur, wenn die Jagd in die Länge gezogen wird – indem man die Hepra bewaffnet . Das garantiert größeres Drama, größere Spannung und am Ende eine größere Belohnung für den Sieger. Und diese letzten Kapitel werden fantastisch. Drama bis zum Äußersten, wenn der siegreiche Jäger die allerletzten Tropfen Hepra-Blut trinkt. Sie durch seine Kehle in die … ewige Vergessenheit rinnen lässt.« Ich sehe erst Ashley June und dann den Direktor an und verstehe endlich. »Es ist alles für das Buch. Für den Herrscher.«
Der Direktor starrt mich mit einem Ausdruck ehrlicher Verblüffung an, die Augen weit aufgerissen, die Kinnlade unten. Dann reißt er den Kopf nach vorn und zurück in den Nacken, eine zackige Bewegung, die seine Nackenwirbel knacken lässt. »Sehr gut«, sagt er. »Du hast mich tatsächlich durchaus
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