Die Jaeger der Nacht
Oh, du dummes Mädchen!« Er hält unvermittelt inne, als wäre ihm etwas eingefallen. Dann sieht er uns beide streng an. »Nur damit eins klar ist: Ich will einen klaren Sieger. Das ist immer besser. Kein Unentschieden. Die Öffentlichkeit mag keine Ungewissheit. Wenn am Ende ihr beide übrig bleibt … nun … es kann nur einen Sieger geben. Ihr werdet wissen, was zu tun ist. Richtig?«
Weder Ashley June noch ich antworten.
Wieder fängt er an, sich langsam zu kratzen. »Verstehe. Verstehe. Ich habe mich offensichtlich nicht klar genug ausgedrückt. Ich habe nicht hinreichend deutlich gemacht, wie sehr ich an einem Erfolg dieser Jagd interessiert bin. Ich habe nicht verständlich gemacht, wie wichtig es für mich ist, dass einer von euch beiden – und zwar nur einer – diese Jagd gewinnt.« Er legt die Spitzen seiner Zeigefinger auf die Augenbrauen und fährt ihre dünnen sanften Bogen nach. »Viele Leute glauben, ich hätte hier im Institut einen Traumjob. In solcher Nähe zu den Hepra arbeiten zu dürfen. Ahnungslose Idioten! Dieser Ort ist die Hölle.«
Tiefe Furchen zeichnen sein Gesicht, Dunkelheit hängt über seinen Zügen. »Eine erfolgreiche Jagd würde mir die Chance bieten, diesen Ort zu verlassen«, flüstert er. »Dieses Fegefeuer, wo man vom Himmel nur durch eine Wand aus Glas getrennt ist; doch dieses Glas ist so dick wie tausend Universen hintereinander. Das hält man nur eine Zeit lang aus, diesen quälenden Anblick und Geruch der Hepra, während sie einem ständig verwehrt werden. Das ist eine eigene Art von Hölle, so verlockend dicht dran und doch unerreichbar weit entfernt. Aus diesem Pseudohimmel wegzukommen … auf einen Posten versetzt zu werden, wo der Himmel real ist – in den Palast des Herrschers. Endlich zum Wissenschaftsminister befördert zu werden …«
Er macht eine weitere lange Pause, Angst hängt in der Luft. »Habt ihr jemals … nein, natürlich nicht. Aber ich war für einen Tag dort. Im Herrscherpalast. Bei meiner offiziellen Berufung auf diesen Posten. Ich habe ihn gesehen in all seiner Pracht und Größe. Die Realität hat selbst meine kühnsten Erwartungen übertroffen. Hoch aufragende Statuen von Hyänen und Schakalen, spiegelglatte Marmorgebäude, das unüberschaubare Gefolge von Mundschenken, Schreibern, Harfisten, Pagen, Boten, Hofschmeichlern, Wachmännern und dem in Seidenroben gewandeten Harem von Jungfrauen. Aber das war nicht einmal das Beste. Habt ihr eine Vorstellung, was das gewesen sein könnte?«
Ich sage nichts.
»Ihr mögt denken, es wären die anmutigen, von Wasserfällen gesäumten Teiche und Grotten oder der Konzertsaal mit den reich verzierten Quecksilberkronleuchtern gewesen. Aber nein, ihr würdet irren. Oder das Aquarium voller Austern und Krebse, Kalmare und Tintenfische, die man wie Gänseblümchen pflücken und verspeisen kann. Aber ihr würdet erneut irren. Oder die Gemälde, die Stallungen mit einer Reihe herrschaftlicher Hengste, so weit das bloße Auge reicht. Aber ihr würdet wieder irren.«
Er hebt den Zeigefinger mitsamt dem schweren Smaragdring. Sofort drehen sich die Institutsmitarbeiter und Wachposten auf dem Absatz um und marschieren hinaus.
Nachdem die Tür zugefallen ist, befeuchtet er seine Lippen und spricht weiter. »Es ist das Essen. Man kann seine Zähne in die exotischsten, fettigsten Fleischsorten treiben. Hunde, Katzen – und das sind nur die Vorspeisen. Danach das Hauptgericht.« Ich höre, wie seine Lippen im Dunkeln feucht zittern. »Hepra-Fleisch«, zischt er.
Ich starre leeren Blickes geradeaus, als mir das Grauen dämmert. Nicht die Augen aufreißen, brüllt die Stimme meines Vaters. Nicht die Augen aufreißen.
»Angenommen, ich würde euch erzählen, es gibt einen geheimen Vorrat«, flüstert er. »Irgendwo auf dem Palastgelände gibt es eine streng geheime Hepra-Farm. Nur angenommen, natürlich. Denn jedermann weiß, dass die letzten Hepra auf dem Antlitz des Planeten die unter der Kuppel da draußen sind. Aber mal angenommen, diese Hepra-Farm wäre unterirdisch, vor allen Blicken verborgen, und sie würde sich über die gesamte Länge und Breite des Palastgeländes erstrecken. Nur angenommen, natürlich. Wie viele Hepra, mögt ihr euch fragen. Wer kann das sagen? Aber in der einen Nacht, die ich dort war, konnte ich ihr Heulen und Schreien hören. Es klang, als wären es Dutzende, womöglich Hunderte.« Er streicht sich über die Wange. »Vielleicht – nur angenommen – genug, um dem
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