Die Jäger des Lichts (German Edition)
ist unheimlich verlassen und still. Auf halber Treppe fasst Clair meinen Arm und bremst uns. Von oben hört man leisen Gesang.
Erlöse mich vom Schwert des Todes
Und aus der Fremden Hände rette mich
Beschütze mich vor ihren spitzen Krallen
Und vor den Reißzähnen in ihrem Mund
Wir sehen uns an und steigen weiter nach oben, leiser und langsamer. Dann bleiben wir erneut stehen; es ist Bens Stimme, brüchig vor Angst.
Dann werden unsere jungen Söhne
Wie Festungsmauern sein
Und unsere Töchter wie polierte Säulen
Des uneinnehmbaren Palasts
Und unsere Hütten werden prall gefüllt sein
Mit reichlich Vorrat aller Art
Oben folgen wir Bens Stimme den Flur hinunter in Krugmans Büro. Die Tür steht offen, und durch den schmalen Spalt sehen wir Ben, der in zitternden Händen ein Notenblatt hält.
Das Büro erstrahlt im warmen Licht der Lampen. Ein leises Summen – von dem Stromkabel – liegt in der Luft. Das Büro wirkt weicher, die Kanten glatter als im grellen Tageslicht. Krugman sitzt mit dem Rücken zu uns und blickt aus dem vom Boden bis zur Decke reichenden Fenster. Er wirkt bedrückt und hält ein leeres Whiskyglas in der Hand, als wollte er der Nacht zuprosten, scheinbar ohne die Schreie und das Geheul wahrzunehmen, das die Fensterscheiben zu zersplittern droht.
Ben steht vor den Bücherregalen an der Wand. Sein Gesicht ist bleich und fahl. Ich lege einen Finger auf meine Lippen und gebe ihm ein Zeichen, zu mir zu kommen. Er wirft einen Blick zurück auf Krugman, schleicht auf Zehenspitzen zu uns und schiebt seine Hand in Sissys.
»Was glaubt ihr, wohin ihr geht?«, fragt Krugman gedämpft und ohne jeden bedrohlichen oder eiligen Unterton. Als hätte er alle Zeit der Welt und das Dorf würde nicht gerade von einer Welle von Schattern überschwemmt. »Warum kommt ihr nicht rein? Alle?«
Wir treten den Rückzug über den Flur an.
»Denn ich will doch nicht hoffen, dass ihr versucht, mit dem Zug zu fliehen«, sagt Krugman.
Ich stutze. Sissy zieht an meinem Arm, doch etwas an Krugmans Ton …
»Denn das wäre, als würdet ihr aus der Bratpfanne direkt ins Feuer springen. Oder noch treffender gesagt«, fährt er fort, in dem Bewusstsein, dass er meine volle Aufmerksamkeit hat, » in einen Vulkan mit brodelnder Lava .« Er kichert leise.
»Wie meinen Sie das?«, frage ich.
»Gene!«, ruft Sissy.
»Nein, warte«, sage ich, und lauter: »Wir gehen jetzt.«
»Das ist eure Entscheidung«, sagt Krugman so müde wie zuvor. »Ihr werdet das Unvermeidliche nur hinauszögern.«
Wieder zupft Sissy an meinem Arm. Und wieder zögere ich. Ich wende mich Krugman zu. »Sie sind zu alt und zu fett, um es bis zum Zug zu schaffen; Sie wollen nicht, dass wir entkommen. Sie versuchen nur, uns aufzuhalten.«
»Und trotzdem bleibt ihr, und trotzdem bleibt ihr.« Er dreht sich langsam auf seinem Stuhl um, seine wässrigen Augen sind blutunterlaufen. Er lächelt traurig und streicht über seine Wampe. »So schwer war mein Bauch nicht immer«, sagt er lethargisch, als wäre er zu träge zu sprechen.
Es ist seine Resignation, seine Ergebenheit in sein Schicksal, die mich alarmiert. Männer wie er haben es selten darauf abgesehen, andere hinzuhalten oder ihnen eine Falle zustellen. Wenn er uns aufhält, dann weil er etwas gestehen will.
Bei dem Gedanken läuft es mir plötzlich eiskalt den Rücken hinunter.
»Sie denken, der Zug bedeutet unseren sicheren Tod«, sage ich. »Erzählen Sie uns, warum.«
»Gene! Lass uns gehen!«, drängt Sissy mich.
»Sagen Sie mir, warum der Zug unseren sicheren Tod bedeutet!«, beharre ich.
Krugman klopft liebevoll auf die Armlehnen seines Sessels, als würde er die Köpfe von zwei Kleinkindern tätscheln. »Also wirklich, musst du so schreien? Ist da draußen nicht schon genug Geschrei?«
»Okay, wir gehen«, sage ich.
»Es ist nicht der Zug, der den sicheren Tod bedeutet«, sagt Krugman, und seine Worte klingen so klar, als wäre er momentan wieder völlig nüchtern. »Es ist das Ziel .« Seine Stimme verliert sich in einem feuchten Murmeln. »Viel Tod und Geschrei dort. Viel. Vieler.«
»Sagen Sie uns, was in der Zivilisation ist!«
Er kichert. »Das zu erklären wird Zeit brauchen. Viel Zeit. Vieler.«
»Gene, fall nicht auf ihn herein! Er will uns bloß hindern …«
»… in den Zug zu steigen?«, fragt Krugman. »Dann geht, geht, sage ich. Ab mit euch, ein Klaps auf den Hintern, einmal durchs Haar gestrubbelt, ein Küsschen zum Abschied,und ab mit euch, meine
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